Rund 2700 Interessierte kamen zur Schüleraustausch-Messe ins Hanse-Merkur-Haus. Länder Brasilien und China immer beliebter.

Hamburg. "Spricht man denn in der Schule nur Chinesisch?", fragt Lennart und zieht dabei die Stirn kraus. Auch seine Freundinnen Carlotta und Nohea sehen irritiert aus. "Dann würden wir ja überhaupt nix verstehen", sind sich die drei 13-Jährigen einig. Nein, nein, beruhigt Hanwei Zou, die Betreuerin des Info-Stands, an dem das Trio vom Lokstedter Corvey-Gymnasium gerade haltmacht. "Wenn ihr zum Beispiel nach Peking geht, bekommt ihr dort zwar auch Chinesischkurse. Aber der eigentliche Unterricht findet auf Englisch statt." Lennart, Carlotta und Nohea nicken erleichtert.

China bleibt für die Jugendlichen also eine Option - als Ziel für einen Schüleraustausch. Denn im übernächsten Schuljahr wollen sie Hamburg eine Zeit lang verlassen. Unabhängiger wollen sie dadurch werden, mutiger und selbstbewusster - erwachsen eben. "Wir wollen was fürs Leben lernen", sagen die drei. Allein: Wohin soll's gehen?

Antworten auf diese Frage versuchte am Sonnabend die Schüleraustausch-Messe zu geben. Die von der Deutschen Stiftung Völkerverständigung organisierte Veranstaltung ist die größte ihrer Art in Deutschland. Rund 2700 Menschen kamen dazu binnen sechs Stunden ins Hanse-Merkur-Haus am Dammtor. Sie informierten sich an den Ständen der 50 Aussteller, darunter Austausch-Organisationen und Konsular-Abordnungen, und bei den zahlreichen Experten-Vorträgen. Mit einem Grußwort hatte sich bei der Eröffnung Hamburgs Bildungssenator und Messe-Schirmherr Ties Rabe (SPD) an die Besucher gewandt und dabei den Dichter Oscar Wilde zitiert: "Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf."

Zurück zum Ortstermin: Lennart, Carlotta und Nohea haben den China-Stand verlassen und kämpfen sich nun durchs Gedränge. "China ist mir schon etwas suspekt", murmelt Lennart. Diese Kultur sei bestimmt "krass anders".

"Krass anders" - genau das scheint wegreisewillige Jugendliche zunehmend zu reizen. "Immer öfter sind aufstrebende Länder wie Brasilien, Indien oder China die Wunschziele", sagt Michael Eckstein, der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Völkerverständigung. Er steht abseits des Gewusels und beobachtet die Menge: all die Jungen und Mädchen und deren Eltern, die mit großen Augen Plakate lesen, auf denen Schlagzeilen stehen wie "Join the World!" "Der Bedarf nach Informationen zu Auslandsaufenthalten ist bei Schülern immens", sagt Eckstein. Warum seine Stiftung Jugendliche antreiben will, in aller Herren Länder hinauszugehen? "Weil ich glaube", antwortet Eckstein, "dass das Kennenlernen fremder Kulturen für Völkerverständigung und somit für Frieden sorgt."

Seit zehn Jahren organisiert Michael Eckstein daher Schüleraustausch-Messen: anfangs nur in seiner Heimat Ahrensburg, mittlerweile in der gesamten Bundesrepublik, in diesem Jahr insgesamt 14-mal. Was Eckstein dabei erkannt hat: "Hamburg ist tatsächlich ein Tor zur Welt - relativ gesehen wollen nirgendwo mehr Jugendliche ins Ausland gehen als hier: Von den gut 16 000 Deutschen, die pro Schuljahr einen längeren Austausch machen, stammen etwa 1000 aus der Hansestadt."

Bestes Beispiel dafür sind Lennart, Carlotta und Nohea. Sie drängen sich gerade vorbei an einem Mädchen, das einen Pulli mit der Aufschrift "I love London" trägt. "London? Viel zu nah!", sagt Lennart. Carlotta und Nohea stimmen zu: "Wenn schon weg, dann richtig weit." Vielleicht nach Costa Rica? Für den mittelamerikanischen Staat wirbt jener Stand, an dem das Trio nun stoppt. Palmen, Sonne, Traumstrände - die Bilder hinter der netten Beraterin lösen bei den Achtklässlern sofort Fernweh aus. Doch schnell folgt die Ernüchterung - nämlich bei den Kosten.

"Für einen mindestens halbjährigen Schüleraustausch muss man mehrere Tausend Euro einrechnen", sagt Michael Eckstein, der jetzt selbst zwischen den Ständen umherstreift. Jedoch seien die Differenzen zwischen den Ländern teils erheblich, was etwa an unterschiedlich hohen Schulgebühren liege. "In jedem Fall", sagt Eckstein, "sollten sich Austausch-Interessenten um ein Stipendium bewerben. Davon gibt's einige, und die Hürden, sie zu bekommen, sind oft nicht hoch."

Klar, ein Stipendium könnten auch Lennart, Carlotta und Nohea gut gebrauchen. Schließlich soll ja nicht gleich das ganze Konfirmationsgeld für das Wegsein draufgehen. "Wenn man dafür nur nicht so viel nervigen Papierkram erledigen müsste", stöhnen sie im Chor - und erkennen: Schon der Weg ins Ausland bedeutet Lernen fürs Leben. Egal, wohin es letztlich geht.

Anlässlich der Messe wurden Stipendien im Wert von mehr als 20.000 Euro ausgeschrieben. Informationen dazu unter www.schueleraustausch-messe.de