Eltern haben vor 25 Jahren einen Kinderbauernhof in Kirchdorf-Süd gegründet. Jetzt ist er gefährdet, weil Ein-Euro-Jobs gestrichen werden.

Hamburg. Wer das Gatter zum Kinderbauernhof öffnet, wird von einem kapitalen krähenden Hahn empfangen. Ziegen kommen angelaufen und zupfen neugierig an Tasche und Jackenärmel. Auf der Wiese grasen Ponys, aus einem Stall dringt das Grunzen eines Schweins. Überall scharren Hühner im Boden - sie wirken nicht minder glücklich als die Kinder, die an diesem Herbsttag mit roten Nasen und leuchtenden Augen zwischen den Tieren herumwuseln.

Es ist eine kleine Idylle, die in merkwürdigem Kontrast steht zu den Hochhäusern der Trabantenstadt Kirchdorf-Süd, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft erhebt.

Genau aus diesem Grund hat Gerd Horn mit anderen Eltern vor fast 25 Jahren den Kinderbauernhof gegründet. Er wollte mit dem "Kibaho" einen Gegenpol bilden zum Leben in der Siedlung, die Mitte der 70er-Jahre am Rand von Wilhelmsburg aus dem Boden gestampft wurde. "Damals wie heute können die Kinder aus den Etagenwohnungen bei uns hautnah Tiere erleben", sagt Horn. "Dabei lernen sie, verantwortungsvoll mit anderen Lebewesen umzugehen." Der 57-Jährige schiebt sich den breitkrempigen Hut aus dem Gesicht. Darin hat das Vierteljahrhundert, das er zwischen Kindern und Tieren an der frischen Luft verbracht hat, Spuren hinterlassen: Die Haut ist sonnengebräunt, die Augen von Lachfältchen umrahmt, denn er liebt seine Tätigkeit. Und seine Schützlinge lieben ihn.

+++ Immer mehr Familien und Kinder werden unterstützt +++

+++ Die Abendblatt-Serie: Wie Kinder heute lesen und schreiben lernen +++

+++ "Ein-Euro-Jobs schaden Arbeitslosen" +++

Doch dem Lebenswerk von Gerd Horn droht Gefahr. Denn die sieben Aktiv-Jobber der Passage GmbH, die Horn und das Stammteam von zehn Ehrenamtlichen bei der Pflege der 250 Tiere und der Hofarbeit maßgeblich unterstützen, bleiben nur noch bis Ende Dezember. Durch die massive Reduzierung der Ein-Euro-Jobs werden auch ihre Stellen gestrichen. "Es ist kaum zu glauben", sagt Gerd Horn, "von den 58 Stellen der Passage GmbH hier in Wilhelmsburg ist nicht eine bewilligt worden." Er weiß, was es bedeutet, wenn man zwar keine Arbeit, aber zumindest eine sinnvolle Tätigkeit hat - vor 20 Jahren rutschte der ehemals selbstständige Elektromeister in die Arbeitslosigkeit ab. Den Hof führt er ehrenamtlich.

Horn bleibt vor einem Stall stehen, in dem ein mächtiges Hausschwein mit dem makabren Namen Schnitzel im Stroh liegt. Die Sau ist 14 Jahre alt, bringt stolze 380 Kilo auf die Waage und war sogar schon mal im Kino: Mit Jürgen Vogel stand sie für den Film "Emmas Glück" vor der Kamera. Jetzt ist Schnitzel in Rente und bekommt auf dem Kibaho das Gnadenbrot - wie viele andere Tiere auch. Denn Gerd Horn und sein Team trennen sich nicht von alten Tieren. "Wir wollen den Kindern vorleben, was lebenslange Verantwortung bedeutet", sagt Horn. Neben dem Verlust der Ein-Euro-Jobber ist die Hege altersschwacher Tiere das zweite Problem, das ihm schlaflose Nächte bereitet. Die Tierarztkosten sind mittlerweile auf 8000 Euro pro Jahr gestiegen - viel Geld für einen Verein, der sich - bis auf eine Anschubfinanzierung der Stadt vor 25 Jahren - ausschließlich durch Spenden und Geburtstagsveranstaltungen finanziert.

Die sind der Hit auf dem Kinderbauernhof. 300 bis 500 Geburtstagsfeste werden hier pro Jahr gefeiert. Gerade wieder dringt Gelächter und Gejuchze aus dem "Kinderstall". Die Kleinen toben auf dem strohbedeckten Boden der Hütte; danach geht's zum Kaninchenfüttern, Reiten und Heubodenspringen.

Horn geht weiter über den Hof, wirft einen Blick in die Vogelvoliere, in der rund 50 Wellensittiche, Kanarienvögel und Zwergfinken flattern; schaut in den Käfig, den sich zwei Pfauen und zwei Aras teilen. Dann geht's an Kaninchen- und Meerschweinchengehegen vorbei zu zwei kleinen Hütten, die auf Rädern stehen und dunkelrot angemalt sind. "Das ist unser neuestes Projekt: der mobile Kinderbauernhof", sagt Gerd Horn. "Damit wollen wir im kommenden Jahr zu denen fahren, die nicht zu uns kommen können: zu Behinderten- und Blindeneinrichtungen oder zu demenzkranken Senioren."

Mit auf Tour gehen nur ausgewählte Tiere. Ratz und Rübe, die lustigen Mini-Schweine, die zahmen Seidenhühner mit ihrem weichen Federkleid oder zutrauliche Kaninchen. Einen Anhänger für den Transport hat bereits die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung gesponsert, die Finanzierung von Zugfahrzeug, Honorarkräften und Versicherung ist noch ungeklärt.

An Rutsche, Übernachtungsbaumhaus, Trampolin und Komposthaufen vorbei - "dem höchsten Berg von Kirchdorf-Süd" - geht Gerd Horn zu den Ponys, die gerade von mehreren Kindern gestriegelt werden. Er klopft den Tieren auf die Flanke, tätschelt den Kindern den Kopf und hofft, dass er ihnen auch im nächsten Jahr noch diese Idylle bieten kann.