Fotograf Thomas Kunadt ist ein “Shipspotter“. Auf Kommando spurtet er an die Elbe, um Bilder zu machen. Bald erscheint ein Buch von ihm.

Blankenese. Karlsson auf dem Dach konnte fliegen, für Thomas Kunadt auf dem Dach ist die Fortbewegung umständlicher. "Sensationelle Sicht!", ruft er ganz aufgeregt, klettert über eine Leiter vom Hausdach im Blankeneser Treppenviertel zurück ins Wohnzimmer, wirft seine Windjacke über, greift sich seine Digitalkamera Pentax K 5, läuft nach unten, steigt aufs Fahrrad und eilt zum Anleger Op'n Bulln.

Geschafft! In der Ferne sind schon die weißen Aufbauten der "CSCL Venus" zu erkennen. Der Ozeanriese mit heute gut und gerne 12 000 Containern an Bord hat den Hamburger Hafen verlassen und steuert elbabwärts Richtung Nordsee. Das chinesische Schiff mit dem grünen Rumpf nähert sich zusehends. Thomas Kunadt ist in seinem Element, schießt systematisch Fotos. Und das bei Sonnenschein im November. Ein Glückstag!

Gemächlicher geht's bergauf zurück zur Wohnung. Kunadt nimmt an seinem Schreibtisch Platz. Auf dem einen Monitor signalisiert ihm der Schiffsmeldedienst die Bewegungen auf der Elbe, der andere zeigt den Fluss via Webcam. Die eine ist auf dem Hotel Jacob montiert, die zweite steht auf dem Leuchtturm Wittenbergen. Somit kann kein Schiff Blankenese passieren, ohne dass es Kunadt nicht bemerkt und nicht runter an die Elbe spurten kann.

+++ "Süchtig nach Schiffen" +++

Der Mann ist Weltmeister. Schiffsbeobachter nennt sich seine Spezies; international sagen sie "Shipspotter" dazu. Kaum einer auf der Erde hat mehr Schiffe fotografiert als er, niemand hat mehr Schiffsdateien registriert als er. In dicken Aktenordnern lagern 80 000 Dias. Aus Zeiten der analogen Fotografie. Als das Internet noch nicht so weit war, musste er den Lotsenfunk abhören, um über aktuelle Schiffspassagen informiert zu werden. Insgesamt hat Kunadt 310 000 Bilder gemacht; 180 000 Fotos sind auf seinem Rechner gespeichert. Unter dem Strich hat er 838 000 Schiffsnamen weltweit erfasst - etwa ab anno 1830. Das Ergebnis von 16 Jahren harter Arbeit. In Hamburg, aber auch in 112 anderen Häfen weltweit. Von Tasmanien bis Mombasa.

In Bretnig im Osten Sachsens aufgewachsen, nach der Wende 1991 nach Hamburg umgezogen, um Musikwissenschaften zu studieren, zog er vier Jahre später nach Nienstedten - mit Spaziergängen an der nahe gelegenen Elbe. "Dann habe ich Feuer gefangen", sagt der 44-Jährige. Und wie. Die Faszination der majestätischen Ozeanriesen aus aller Herren Länder, das Faible fürs Fotografieren und sein Forscherdrang elektrisierten den jungen Mann. Es war wie ein Bazillus, der bis heute grassiert. Als er dann noch seine Traumwohnung fand, im Dachgeschoss eines Blankeneser Altbaus, waren der maritimen Leidenschaft kaum noch Grenzen gesetzt. Motto: An Thomas Kunadt kommt kein Schiff vorbei.

Sieben Bücher und Kalender mit seinen besten Themen wurden veröffentlicht, und im kommenden Jahr soll ein großformatiger Bildband mit 600 Seiten und 1000 Schiffsfotos erscheinen. Das gab's so noch nie. Arbeitstitel: "Schiffe - eine Passion". Einziger Haken: Kunadt kommt wirtschaftlich mehr schlecht als recht über die Runden. Seine Exkursionen in die Häfen fremder Länder muss er durch Nebenjobs finanzieren. Für einen Haupterwerb lässt die extensive Beschäftigung keine Zeit. Der Einsatz als Spotter mit Leib und Seele erbringt Kontakte zu Paradiesvögeln ähnlichen Kalibers. Und mehr als das: Während der Recherchen ging auch Freundin Susanne an den Haken. Die Fachfrau arbeitet bei Hanse Nautic, einem Fachgeschäft unter anderem für Seekarten und Schifffahrtsbücher. Im Januar bricht der begeisterte Schiffe-Fahnder nach Rio de Janeiro auf. Dort gibt's einen großen Hafen ... Dass Kunadt auch Schiffe aus den beiden vergangenen Jahrhunderten in seiner Datei gespeichert hat, basiert auf Recherchen im Internet und auf Schatzsuche in Bibliotheken, Archiven sowie auf Flohmärkten. In den Anfangstagen von Ebay glückte ihm für 500 Euro ein Schnäppchen: In Lloyds Schiffsregister, einem von Fellows & Son anno 1858 publizierten braunen Nachschlagewerk mit goldenen Lettern, sind Details von unschätzbarem Wert verzeichnet. Während Kunadt stolz seine Werke zeigt, ist ihm auf einmal Unruhe anzumerken. Die Webcam zeigt, dass sich aus Richtung Cuxhaven ein Frachter nähert.