Nicht die Ostsee-Pipeline bindet uns an Gazprom, sondern unser Hunger nach Energie

Natürlich sind wir abhängig vom Gas aus Russland. Nicht erst seit der Freischaltung der Ostsee-Pipeline in Lubmin, die nun russisches Erdgas direkt nach Europa transportiert. Bereits jetzt beziehen die Deutschen 40 Prozent des Gases von dem östlichen Nachbarn. Deutschland hängt längst am russischen Gashahn.

Und warum sollte es anders sein? Deutschland ist eine der führenden Industrienationen und damit einer der größten Energieverbraucher. Wir heizen unsere Wohnungen immer auf angenehme Raumtemperatur, 61 Millionen Handys brauchen Strom, Stahlindustrie und Chemiefabriken saugen Energie für ihre Produktion. Kein Putin, kein milliardenschwerer Rohstoffmonopolist wie Gazprom, nein, unser Hunger nach Energie ist die allergrößte Ursache für die Abhängigkeit von Russland.

Wer also wie Deutschland außer Kohle kaum Rohstoffe fördern kann, muss sie eben importieren. Auch dieses Gesetz der Ökonomie gilt nicht erst seit dem Bau der Ostsee-Pipeline. Zur Zeit des Kolonialismus holten sich Europas Staaten Ressourcen mit Gewalt aus den fernen Quellen, heute kaufen sie es auf den Rohstoffmärkten. Dort mischen nun immer stärker die mächtigen Konkurrenten aus China und Indien mit.

Deshalb kostet der freie Markt Geld und schafft Abhängigkeit, gerade weil er ohne Gewalt funktionieren muss. Allerdings nicht nur für den Konsumenten. Auch der Anbieter ist an den Abnehmer der Rohstoffe gebunden. Der Gasexport ist für Russland eine wichtige Geldquelle. Förderung, Transport und Handel unterliegen dem staatlichen Konzern Gazprom. Und der hat gerade knapp acht Milliarden in die Pipeline nach Mecklenburg-Vorpommern investiert, gemeinsam mit deutschen, französischen und niederländischen Unternehmen.

Für die kommenden 40 Jahre haben sich die Bauherren an europäische Gasmärkte gebunden. Beide Seiten gehen diese Verträge auch deshalb ein, weil sich Europa zwar abhängig macht von Russland. Aber es ist eine zuverlässige Abhängigkeit. Denn in den vergangenen 40 Jahren strömte das Gas fast reibungslos von Ost nach West - trotz Kalten Krieges, Zerfalls der Sowjetunion und neuer Mächte.

Durch die neue Ostsee-Pipeline werden die Gaslieferungen aus Russland noch zuverlässiger nach Westeuropa kommen, denn die Leitung umgeht den Transport durch Transitländer wie die Ukraine. Das Risiko, dass auch Deutschland der Gashahn abgedreht wird wie beim Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine 2009, minimiert sich durch die neue Leitung deutlich.

Doch so gut die Geschäfte mit Russland laufen: Deutschland darf sich darauf nicht ausruhen. Das wäre bequem, aber riskant. So gibt es zwar derzeit ausreichend Gas auf den Märkten, doch gerade in der Bundesrepublik wird der Rohstoff an Bedeutung gewinnen. Bei der Energiewende wird der Brennstoff als Brückentechnologie benötigt. Wenn Atomkraftwerke abgeschaltet sind und Windräder wegen Flaute stillstehen, liefern klimafreundlichere Gaskraftwerke den Strom.

Doch um bei steigender Nachfrage nicht an das Preisdiktat von Gazprom gebunden zu sein, muss Deutschland auf möglichst viele Lieferanten setzen. Gas kommt bereits aus Norwegen und den Niederlanden. Auch Nordafrika ist reich an Erdgas, spielt aber bisher bei der Versorgung Deutschlands keine Rolle. Die geplante Pipeline Nabucco soll Gas aus Ländern wie Turkmenistan und Aserbaidschan gen Westen transportieren und Europas Abhängigkeit von Russland mindern. Doch das Projekt stockt und könnte sogar scheitern - auch weil Russland die Pipeline verhindern und eigene Leitungen von dort gen Westen bauen will.

Europa muss aufpassen, dass es bei bewährter gegenseitiger Abhängigkeit bleibt - es sich aber nicht von Russland erpressbar macht.