Behebung der Wohnungsnot entscheidet über Erfolg des Scholz-Senats

Jede Legislaturperiode, lehrt ein Blick zurück, hat ein alles überstrahlendes Thema. Eines, das die Stadt, das Land oder die Bundesrepublik bewegt wie kein zweites. Das spaltet, aufrüttelt und letztlich mit entscheidet über die Leistungsbilanz der jeweiligen Regierung. Solche Themen sind es, die Koalitionen zum Scheitern bringen und Parteien bei dann folgenden Wahlen krachende Niederlagen einfahren lassen. Ein Beispiel aus der jüngsten hamburgischen Vergangenheit: die bei größeren Teilen der Stadt regelrecht verhasste Schulreform, die wiederum Schwarz-Grün nach Liebesheirat und Kuschelzeiten in einen Rosenkrieg samt bitterer Scheidung trieb, von der sich beide Parteien bis heute nicht so recht erholt haben. Was für Schwarz-Grün die Schulreform war, könnte für die SPD das Thema Wohnungsnot werden.

Zwar nicht ins Korsett einer Koalition gezwängt und damit zur Rücksichtnahme auf den Regierungspartner gezwungen, birgt das Thema dennoch Brisanz für den Senat von Olaf Scholz. Gelingt es der SPD-Alleinregierung, das Versprechen einzulösen, 24 000 Wohnungen bis 2015 zu bauen und damit den gravierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu lindern, wird es schwer für die Opposition, die unattraktiven Plätze im Parlament einzutauschen. Scheitert Scholz in diesem Punkt, wird das seine gesamte übrige Leistungsbilanz verhageln.

Die Mieten in der Stadt sind in den zurückliegenden zwei Jahren erneut drastisch gestiegen, nochmals stärker als in den Jahren zuvor, weist der neue Mietenspiegel aus. Wer eine durchschnittliche 80-Quadratmeter-Wohnung in einem völlig durchschnittlichen Stadtteil mieten will, muss inzwischen rund 600 Euro Kaltmiete zahlen. Samt allen Nebenkosten sind schnell 900 Euro zusammen - erheblich mehr, als es sich viele Friseurinnen, Klempner, Verkäufer oder Krankenschwestern und ihre Familien leisten können.

Und das zeigt die politische Sprengkraft: In Hamburg wächst unter anderem aufgrund explodierender Mieten die Zahl derer, die nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Wer zuletzt Wohnungsbesichtigungen erlebt hat, weiß um die entwürdigenden Szenen, die sich hier abspielen. Weiß von Interessenten, die sich ungefragt entblößen mit Bescheinigungen des Arbeitgebers, der Schufa und des Noch-Vermieters; die in ihrer Verzweiflung unterwürfig betteln oder sich entschuldigen für Kinder, als hätten diese eine ansteckende Krankheit. Über Jahre hinweg hat Hamburg es versäumt, Wohnraum für die Masse zu fördern. Statt Etagenwohnungen für Familien mit Kindern entstanden schicke rundum verglaste Büros mit Blick auf Hafen und Speicherstadt. Nur leider ohne Mieter. Die Stadt wuchs - und mit ihr das Unbehagen über diesen Zustand. Der Bewegung "Recht auf Stadt" ist es so in den vergangenen Jahren gelungen, eine breite Öffentlichkeit zu überzeugen, dass zu einer wachsenden Metropole nicht nur neue Büros aus reichlich Glas, Stahl, Beton und Geld gehören, sondern vor allem auch bezahlbarer Wohnraum. Jetzt scheint sich an ihrem Rand womöglich eine Radikalisierung zu vollziehen: Hausbesetzungen, Schmierereien an Wänden, Farbattacken gegen Senatoren und selbst gegen politische Hinterbänkler, Aufrufe zu Anschlägen in Zusammenhang mit der geplanten Räumung eines Bauwagenplatzes.

Nicht die Sanierung des Landeshaushalts, nicht die Ausstattung der Schulen oder die Abschaffung der Studiengebühren werden der Gradmesser sein, ob Scholz, wie 2011 versprochen, 2015 "ordentlich regiert" hat, sondern der Bau der Wohnungen. Nur wenn es gelingt, 6000 pro Jahr auf den Markt zu bringen, wird langfristig die Miete wieder bezahlbar für den "Normalbürger". Es geht bei diesem Thema um nicht weniger als den sozialen Zusammenhalt und den Frieden in der Stadt.