3810 Quadratmeter Fläche, 450 Routen - in der Trainingsanlage in Lokstedt gipfelt die stetig steigende Begeisterung für den alpinen Sport.

Hamburg. Es gehöre doch zum Menschen dazu. Schon Kinder machten es ganz automatisch, sagt Sebastian Pawliczek. "Und manche Erwachsene brauchen das Klettern eben auch." Der 23-Jährige aus Wandsbek jedenfalls klettert mindestens einmal die Woche, und das seit vier Jahren. Der Bundeswehroffizier ist einer von rund 16.000 Hamburgern, die sich für diese Sportart begeistern und im Kletterzentrum des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Lokstedt regelmäßig trainieren. Und weil die Nachfrage immer größer wird, hat sich das Kletterzentrum weiter vergrößert. Am Dienstag wird die dritte Kletterhalle offiziell eingeweiht.

Hamburg, die Klettersport-Metropole. Das klingt gewöhnungsbedürftig. Tatsächlich sind 3810 Quadratmeter Kletterfläche drinnen und draußen mit Routen aller Schwierigkeitsgrade in Norddeutschland einmalig, heißt es vom Deutschen Alpenverein, Sektion Hamburg & Niederelbe. "Es gibt einen großen Trend zurück zur Natur", sagt Katrin Ruppel, stellvertretende Geschäftsführerin. "Die Leute treten bei uns im Sommer ein, um hier klettern zu lernen und anschließend in die Berge zu gehen." Hatte der DAV, ein gemeinnütziger und ehrenamtlicher Verein, 2005 lediglich 7500 Mitglieder, sind es nun mehr als doppelt so viele. Tendenz weiter steigend. Katrin Ruppel: "Wir haben riesige Zuwächse." Jedes Jahr kommen knapp 1000 neue Mitglieder hinzu.

Begonnen hat der Erfolg am Döhrnweg in Lokstedt vor neun Jahren mit dem Bau eines ersten Kletterturms. Am Kletterturm können die meisten Übungen für das alpine Klettern trainiert werden. Es gibt Natursteinwände und Routen, bei denen sich Kletterer mit Hilfsmitteln aus dem Bergsport absichern können. 2007 wurde die Anlage um eine zweite Halle erweitert und nun also um eine dritte. Nach einem Jahr Bauzeit ist sie fertiggestellt. Kosten: 1.613.000 Euro. Rund 450 verschiedene Routen stehen somit zur Verfügung.

+++ Klettern - mit jeder Faser voll dabei +++

An diesem Vormittag kurz vor der Eröffnung sind sogenannte Schrauber in der neuen Halle dabei, die Kletterkurse zu stecken und damit die Bewegungsabläufe der Kletterer zu bestimmen. "Dabei gibt es immer neue Bewegungsanforderungen. Die Routen sind immer ein Rätsel", so Frau Ruppel. Die Schrauber sind es auch, die den Routen mit den bunten Griffen und Exen (kurz für Express-Sets, die zum Absichern dienen und aus zwei Karabinerhaken und einer Bandschlinge bestehen) die Namen geben. Und sie zeigen dabei Humor. Sie taufen die Kletterrouten "Oben gibt's Eis", "Nicht für Papas" oder "Unterschätzt". Die blauen, gelben oder roten Wege haben Schwierigkeitsgrade von drei bis zehn. Von leicht bis schwer.

Aber was ist so reizvoll daran, eine bis zu 16 Meter hohe Granitwand per Seil hochzukraxeln? "Es ist diese besondere Koordination von Kraft, Kondition und Geist", sagt Suzann Ringler, 42. Die Physiotherapeutin und Immobilienkauffrau hatte den Sport vor mehr als zehn Jahren entdeckt, als sie wutentbrannt nach einer Beziehungskrise in die Dolomiten gereist war - zum Abreagieren beim Klettern. "Das hat mich sofort gepackt." Zwei- bis dreimal in der Woche fährt sie seitdem aus Tangstedt ins Kletterzentrum, um mit Freunden gemeinsam zu klettern. Denn allein geht es nicht, weil man immer jemanden zum Absichern braucht - außer beim Bouldern, das ist Klettern ohne Seil und ohne Sicherheitsgurt in Absprunghöhe. "Es macht einfach enorm Spaß. Man ist nicht einsam wie beim Joggen", sagt Frau Ringler.

Dass es in Hamburg überhaupt eine Sektion des Deutschen Alpenvereins gibt, liegt daran, dass 19 Hanseaten um Ferdinand Arning 1875 am Fuße des Großglockner zusammensaßen und beschlossen, eine eigene Sektion des damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenvereins zu gründen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Hamburger Skiheim Schlossalm in Österreich erworben, zwei weitere Hütten kamen später hinzu.

"Das Kletterzentrum ist das Bindeglied zwischen Sport in der Natur und der Stadt", sagt Katrin Ruppel. Noch dominieren die Männer, aber die Frauen holen auf. Ruppel: "Die größten Talente haben wir bei den Mädchen." Verena Bleil, die gerade bouldert, ist solch ein Talent. "Ich war mit sieben Jahren das erste Mal mit meinem Vater im Fels." Später kam das Wettkampfklettern hinzu (unter anderem war sie Dritte bei den Norddeutschen Klettermeisterschaften im Bouldern). Und auch mit zwei Kindern kann die 27-Jährige weiter klettern. "Meine fünfjährige Tochter klettert auch schon." Um ihre zehnmonatige Tochter kümmern sich ihr Mann und ihr Vater.