Am Lohkoppelweg entsteht eine Vorzeigesiedlung. Die auffällige Farbe vieler Gebäude finden die neuen Eigentümer aber alles andere als vorzeigbar.

Hamburg. Architekten, Bauherren und Politik loben das Wohnquartier als gelungenes Beispiel für moderne Stadtplanung. "Lokstedt 360 Grad", so betonen sie in Festschriften, Ansprachen und Projektbeschreibungen, sei ein Quartier, das die Anforderungen des "Gender-Mainstreaming" ebenso erfülle wie die Voraussetzungen für eine kreative Mischung aus Wohnen und Arbeiten und einer quirligen, funktionierenden Nachbarschaft. Für nicht wenige Neu-Lokstedter, die demnächst in eine der insgesamt fast 240 Wohneinheiten (darunter 180 Mietwohnungen) einziehen werden, ist das junge Viertel zwischen Lohkoppelweg und Emil-Andresen-Straße zurzeit vor allem eines: augenbeleidigend orange. Vor allem unter den Käufern der bis zu 450.000 Euro teuren Stadthäuser hat sich Widerstand gegen die originelle Farbgebung formiert.

"In den Prospekten und auf der Internetseite, die wir uns angesehen haben, bevor wir das Objekt kauften, hatten die Häuser einen warmen Terrakotta-Ton ", sagt einer der Hauskäufer. Als wir dann das erste Mal die fertig gestrichenen Fassaden gesehen haben, waren wir erschrocken. Statt jenes warmen Terrakotta-Tons regiert hier Warnwesten-Orange." Der empörte Hauskäufer hat ebenso wie mehrere seiner neuen Nachbarn die Endabnahme des Gemeinschaftseigentums, die die verantwortliche Baugesellschaft Otto Wulff gestern durchführen wollte, nur unter dem Vorbehalt unterschrieben, dass die Fassadefarbe geändert werde. Nach Abendblatt-Informationen hat die Baugesellschaft mehreren Käufern bereits eine Art Vergleichszahlung zugesichert, die geleistet werden soll, wenn die grelle Kolorierung akzeptiert wird.

Andreas Seithe, Geschäftsführer des Projektierungsbereichs beim Bauträger Otto Wulff, sagt: "Es ist richtig, dass wir mit einigen Eigentümern Vereinbarungen darüber getroffen haben, dass wir ihnen einen gewissen Betrag zuschießen, wenn sie zum ersten Mal in Eigenverantwortung ihre Fassaden streichen." Allerdings werde es auch dann keine freie Farbwahl geben, so Seithe: "Die Farben müssen auch dann abgestimmt werden, weil es sich schließlich um einen Gesamtkomplex handelt." Insgesamt umfasst das Projekt "Lokstedt 360 Grad" vier Baufelder. Die Bausumme wird sich bei Fertigstellung auf rund 35 Millionen Euro belaufen. Seithe: "Uns ist wichtig, dass alle späteren Bewohner mit der Qualität zufrieden sind."

Doch Teile der Käuferschaft haben sich inzwischen verbündet. Einer der Koordinatoren der Lokstedter Anti-Signalfarben-Bewegung sagte dem Abendblatt: "Wir haben ein Meinungsbild erstellt. Von 30 Parteien, die sich uns gegenüber zur Farbe geäußert haben, sind fünf angetan, drei unentschlossen, und 22 sind gegen die grelle Farbe. Einen Brief an die Firma Wulff haben 19 Parteien unterzeichnet." Seinen Namen möchte der Neu-Eigentümer mit Rücksicht auf den Siedlungsfrieden nicht in der Zeitung lesen.

Der Neu-Lokstedter: "Der Bauträger hat hier eindeutig etwas anderes abgeliefert, als in den Objektbeschreibungen angeboten war. Natürlich kann man in einem solch grellbunten Haus leben - aber schön ist etwas anderes." Der Hauseigentümer will nicht klein beigeben: "Die Fassade ist das, was Sie jeden Tag sehen, wenn Sie raus- und reingehen. Da muss der Bauträger sich etwas einfallen lassen."

15 000 Euro habe die Firma Wulff tatsächlich bereits angeboten, bestätigt der Eigentümer. Allerdings für alle Parteien gemeinsam. "Das macht 260 Euro pro Käufer. Ein Witz!" Zumal der Bauträger bereits am 8. Februar festgelegt habe, dass die Warnwesten-Farbe auf die Fassaden komme - und den Käufern dies erst Monate später zur Kenntnis gebracht habe.

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte das Projekt "Lokstedt 360 Grad" in seiner Rede anlässlich des Richtfests am 8. September noch gelobt: "Wir heutigen Stadtbewohner haben gewachsene Ansprüche an Qualität und Komfort. Dem wird hier Rechnung getragen. Und dass neue Quartiere hohe Ansprüche an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit erfüllen müssen, ist ohnehin klar." Tatsächlich hat das neue Lokstedter Wohngebiet Vorbildcharakter in puncto Energiekostensenkung und Nachbarschaftspflege. Wärme spenden Pelletheizungen.

Unter anderem sollen die zukünftigen Bewohner mit einem internen Computernetzwerk kommunizieren. Zwischen den Häuserblocks, die zwischen November 2011 und Juni 2012 fertiggestellt sein werden, versprechen Grünflächen und Sitzgelegenheiten ein freundschaftliches Miteinander. Laut dem ausführenden Architekturbüro soll die Bauplanung den Bewohnern sogar "bei der Bewältigung ihres Alltags" helfen. "Das ist ja auch alles prima", wie ein weiterer Hauskäufer, Verlagsmitarbeiter aus Hamburg, bestätigt: "Nur ist eben auch alles schreiend orange."