Stormy Reddoor ist ein Sioux-Assiniboine. Seit zwölf Jahren lebt er im Norden, graviert Bilder auf Schieferplatten und macht “Blue Medicine Music“.

Hamburg. Auch Indianer sind nicht mehr so, wie die meisten sie sich vorstellen. Dieser hier sitzt gern im Eiscafé La Venezia am Grindelhof und isst Stracciatella-Eis in der Waffel. Das ist seine Lieblingssorte. Sein "favourite", wie er auf Englisch sagt. Sein Deutsch, sagt Stormy Reddoor, der Indianer vom Grindelviertel, sei nicht so gut. Und das ist äußerst zurückhaltend formuliert und recht freundlich übersetzt. Auf Englisch drückt sich der 61-Jährige wesentlich drastischer aus: "My German sucks", sagt er und lacht. Vielleicht ist sein Deutsch nach zwölf Jahren hier im Norden noch ausbaufähig, aber wegen der Sprache hat der Indianer vom Stamm der Sioux-Assiniboine auch nicht seine Heimat in den USA verlassen. Die Musik und die Kunst haben ihn nach Eimsbüttel gebracht.

Jeanshose, Jeanshemd, Jeansjacke, Westernstiefel, eine wärmende Fleece-Weste und eine Ray-Ban-Sonnenbrille trägt "Stormy" an diesem sonnigen Herbsttag. Warum haben Indianer traditionell eigentlich immer lange Haare? "Weil wir glauben, dass unser Geist in unseren Haaren lebt", sagt er. Federn oder Schmuck sind zu Hause in Wingst bei Cuxhaven geblieben. Wenn er einmal die Woche für zwei, drei Tage ins Tonstudio am Grindelhof kommt, verzichtet er auf jegliche Folklore. In Hamburg macht der Mann mit dieser unglaublich ruhigen, tiefen Stimme, mit seinem Hamburger Freund Holly Petersen Musik. Ihre dritte gemeinsame CD kommt im kommenden Monat auf den Markt. "Blue Medicine Music" nennen die beiden ihren Stil (unter www.blue medicinemusic.de). Musik, die die Seele, die Aura reinigen und den Geist freisetzen soll, heißt es auf ihrer Internetseite. Die Gefühle ansprechen soll. Und den Hörer "näherbringen zum Herzschlag von Mutter Natur".

Dieser Satz klingt dann jetzt doch nach einem typischen Indianer. Wobei, um politisch korrekt zu sein, sich Indianer ja gar nicht Indianer nennen. Sie nennen sich entweder beim Namen ihres jeweiligen Stammes, oder sie sagen, so wie "Stormy" auch, sie seien "Native Americans", also Eingeborene Amerikas. Der berühmte Indianerhäuptling und Anführer gegen die amerikanischen Siedler und Truppen, Sitting Bull (1831-1890), taucht in der Ahnenreihe Stormy Reddoors auf. Das scheint dem Indianer vom Grindel aber eher unangenehm zu sein. "I am a 21st Century Indian man", sagt er. Er sei ein Indianer des 21. Jahrhunderts und führe sein eigenes Leben. Und ja, er habe ein Tipi. Zwei sogar. Das eine Tipi zeigt er Kindern. In der Wingst vermittelt er Interessierten seine Kultur, besucht gemeinsam mit seiner deutschen Frau Heidi Schulen und Kindergärten und gibt deutschlandweit Konzerte mit seiner selbst komponierten Musik. "Die Kinder hier sind genauso wie die Kinder bei uns auch", sagt der dreifache Großvater und zweifache Urgroßvater und setzt ein "Ach du meine Güte!" hinten dran. "Als ich das erste Mal diese vielen blauäugigen, hellen Kinder sah, das war wundervoll!" An den Schulen singt und trommelt er mit den Kindern.

Obwohl Stormys Ahnenreihe große Häuptlinge, Medizinmänner und Medizinfrauen hervorbrachte, würde er nie von sich behaupten, ein Medizinmann zu sein. "Don't write this down", sagt er. "Schreib das nicht auf!" Das ziehe ansonsten häufig seltsame Menschen an. Dass er besondere Fähigkeiten hat, behaupten die Leute seines Stammes, seine Familie, viele Leute und Medizinmänner anderer Stämme, die bei ihm Hilfe gesucht haben oder Gast in seiner Schwitzhütte bei Cuxhaven waren.

Stormy Reddoor wurde 1950 in dem Sioux/Assiniboine-Reservat an der nördlichen Grenze zu Kanada in Montana geboren, dort wuchs er auch auf. "Ich war ein wilder kleiner Junge", sagt er. Die alten Traditionen, Rituale und Feste hat er noch kennengelernt. Ein bisschen spricht er auch die ursprüngliche Sprache. "Meine Großeltern haben heimlich in ihrer Sprache geflüstert, weil sie so nicht sprechen durften. Wir durften ja nur Englisch reden." Von der US-Regierung hält Stormy Reddoor nicht allzu viel, weil es seinem Volk in den Reservaten schlecht geht. "Wir leben dort wie in einem Dritte-Welt-Land. Immer noch", sagt er. Die Menschen würden von der Regierung kleingehalten, die Vorurteile gegenüber den "Natives" seien groß.

Stormy diente drei Jahre im US-Marine-Corps und ging davon 13 Monate für die USA in den Vietnamkrieg. "Wir Natives gelten ja als gute Fährtenleser", sagt er. Daher wurden die Indianer im Krieg auch häufig als solche eingesetzt. An diesem Klischee scheint etwas dran zu sein: "Ich habe meine Leute durch den Dschungel geführt und heil da durchgebracht", sagt er. Traumatisiert kam der junge Stormy damals wieder zurück ins Reservat in Montana. Er war alkoholkrank, machte eine Therapie und habe seit mehr als 20 Jahren keinen Alkohol mehr angerührt. Stormy entschied sich, sich im Südosten von Utah im Navajo-Reservat von der Zivilisation zurückzuziehen. "Ich war kein glücklicher Mensch, also begann ich, meinem Herzen zu folgen." In Utah entdeckte er seine künstlerische Seite und die alten Rituale wieder. Der gelernte Elektriker arbeitete in unterschiedlichen Berufen, doch hatte die Kunst immer einen speziellen Stellenwert.

Seine Kunst, das sind Reliefs und Gravuren auf Schieferplatten, brachte ihn auch nach Deutschland. "Zwei Rechtsanwältinnen aus Hamburg waren in meine Galerie gekommen und haben meine Werke gekauft", erinnert er sich. Wochen später luden die beiden Stormy Reddoor zu einer Ausstellung nach Hamburg ein. Sein erstes Mal an der Elbe: "Es war einfach nur wow! Die Menschen waren so nett. Ich hatte vorher auch nie eine so grüne und saubere Großstadt gesehen", sagt Stormy Reddoor, der nach der roten Eingangstür zu seiner Hütte benannt wurde.

In seinem Pass steht ein bürgerlicher Name, aber der bleibt sein Geheimnis. Während seines ersten Hamburg-Aufenthalts hatte er Holly Petersen kennengelernt, die beiden machten gemeinsam Musik. Davon war Stormy so begeistert, dass er nach einigen Jahren nach Deutschland auswanderte, um langfristig mit seinem deutschen Freund Musik zu machen. Auch seine Reliefs fertigt er weiterhin an. Die großartige Landschaft seiner amerikanischen Heimat braucht er dafür nicht vor Augen zu haben. "Meine Inspiration kommt von ganz tief drinnen", sagt er.

Viele Künstler aus den USA gehören inzwischen zu den Sammlern seiner Steinbilder. Bei der Schauspielerin Whoopi Goldberg war er schon zu Haus, auch hinter dem Hollywood-Schriftzug in den Hügeln von Los Angeles soll eines seiner Kunstwerke deponiert sein.

Stormy Reddoor macht nicht viel Aufhebens um seinen kulturellen Hintergrund. Jedenfalls nicht auf eine plumpe Art. Dass er als Indianer aber doch etwas Besonderes ist, zeigt er eher beiläufig. Welcher Mensch redet sonst mit Wölfen?

Vor Kurzem war er in einem Tierpark in Cuxhaven und bat den Pfleger, zu den Wölfen ins Gehege gehen zu dürfen. Er durfte. "Ich sprach sie mit ihren indianischen Namen an." Er sagte ihnen: "Vielleicht, eines Tages, seid ihr frei!" Ein paar Tage später war in den Zeitungen zu lesen: "Entlaufener Jungwolf narrt Häscher im Kreis Cuxhaven."