Deutschlands wirtschaftliche Stärke beruht auf harter Arbeit, nicht auf Illusionen

Wirtschaftsprognosen ergießen sich heutzutage wie ein endloser Strom in die öffentliche Debatte. Man mag von diesen Vorhersagen halten, was man will, womöglich gar nichts. Aber eines zeigen Analysen wie das gestrige Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute doch: Die internationale Wirtschaft ist labil, die Verwerfungen der zurückliegenden Krise sind längst nicht ausgestanden. Der "XXL-Aufschwung", von dem der frühere Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nach dem Ende der Rezession vollmundig sprach, findet nicht statt. Die starken Wachstumsraten der vergangenen Quartale waren vor allem dem Nachholbedarf aus der Zeit der Krise geschuldet. Die deutsche Wirtschaft kann vieles, aber Wunder kann sie nicht.

Trotz der neuen Wachstumsprognose, die recht kleinlaut klingt, steht Deutschlands Wirtschaft so stark da wie seit Jahrzehnten nicht. Politisch und ökonomisch haben die Akteure im Land - die Regierung, die Unternehmen, die Gewerkschaften - in den vergangenen Jahren alles Wesentliche richtig gemacht. Sie haben die Sozialsysteme in teils schmerzhaften Prozessen modernisiert, Tarifverträge mit Augenmaß geschlossen, vor allem aber Produkte und Dienstleistungen mit hohem Marktwert entwickelt. Waren und Wissen deutscher Unternehmen sind weltweit gefragt. Entscheidend wird es darauf ankommen, diese Stärke zu erhalten und daraus immer wieder neue Dynamik zu gewinnen.

Der Aufbau einer neuen Energiewirtschaft kann dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Die Energieversorgung ist das Herz jeder modernen Volkswirtschaft. Das Ziel ist es, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Deutschland zunächst die Nutzung der Atomkraft und später auch die Verbrennung fossiler Energien, vor allem von Kohle, zu beenden. An die Stelle der heutigen, zentralen Strukturen soll eine dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien treten. Zwei Faktoren treffen hierbei zusammen: ein globaler wachsender Bedarf nach einer ökonomisch und ökologisch sicheren Energieversorgung. Und die Fähigkeit von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Unternehmern in Deutschland, eine solch neue Energie-Infrastruktur zu erschaffen, die in anderen Ländern viele Nachahmer finden wird.

Das Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte war besonders in Europa und in den USA getrieben von wachsenden Schulden der öffentlichen Hand und der privaten Haushalte. Die Griechenland-Krise, aber auch die anhaltende Schwäche der US-Wirtschaft zeigen die schmerzlichen Folgen. Wachstum und Wohlstand basieren nicht in erster Linie auf Hoffnung und Krediten, sondern auf harter und werthaltiger Arbeit. Diesen Zusammenhang verdrängen wir auch in Deutschland mitunter.

Tägliche Wachstumsprognosen und Umfragen zur Befindlichkeit von Konsumenten und Investoren sind insofern nur von bescheidenem Wert. Eine Volkswirtschaft, die es versäumt, die Grundlagen zur Schaffung immer neuer Werthaltigkeit zu legen, wird zwangsläufig zurückfallen. Großbritannien ist dafür ein prägnantes Beispiel, das Mutterland der ersten Industriellen Revolution, das seine Industrie in den vergangenen Jahrzehnten so fahrlässig verspielt hat.

Deutschland ist auf einem guten Weg, soweit ihn die deutsche Wirtschaft und Politik aus eigener Kraft bestimmen können. Wie sich der Welthandel in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln wird, das allerdings liegt nicht in unserer Hand.