Im Fußballgeschäft führt Scheinheiligkeit wesentlich öfter zum Erfolg als Vertragstreue. Davor schützen auch keine Traditionen

"Pacta sunt servanda." Das ist Lateinisch und heißt auf Deutsch: Verträge sind einzuhalten. Für Franz Josef Strauß, eine der Ikonen der deutschen Konservativen und durchaus auch als politisches Raubein bekannt, war das eine Frage des Charakters, und so antwortete er mit diesem Satz auf die Frage, wie die CDU/CSU nach einem Wahlsieg mit den Ostverträgen der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt verfahren würde, deren Abschluss er in der Opposition bis aufs Messer bekämpft hatte. Immerhin hatte die damalige Bundesrepublik in diesen Verträgen unter anderem die Oder-Neiße-Grenze anerkannt und damit den Rechtsanspruch auf ehemalige deutsche Gebiete wie etwa Schlesien und Ostpreußen aufgegeben.

"Ich hab Vertrag" ist eine der Standardfloskeln im Profifußball - und einen solchen hat auch der Fußballlehrer Thorsten Fink, derzeit beim FC Basel in festem Engagement. Und dennoch buhlt der Hamburger Sportverein um genau diesen Mann, weil der HSV den früheren Trainer - man erinnert sich noch, er heißt Michael Oenning - wegen Erfolglosigkeit gefeuert hatte. Gelten im harten Millionengeschäft Profi-Sport nicht mehr die alten Gesetzmäßigkeiten, regieren dort Bedenkenlosigkeit und Gier wie in Teilen des Finanzsektors, wo diese Charaktereigenschaften gewissermaßen unter der Hand aus Bankiers Banker machten? Gehört es zur Logik des Geschäfts, dass der finanziell Stärkere dem Schwächeren so lange unmoralische Angebote macht, bis auch der charakterfesteste Ball-Pädagoge schwach wird?

Und das im feinen Hamburg, wo es - zu Recht - als unhanseatisch gilt, wenn zum Beispiel ein Bürgermeister samt Gemahlin für ein buntes Blatt im feinen Hotel Vier Jahreszeiten als eine Art Regenten-Paar posiert? Wo die Menschen auf Regelverstöße - auch diesmal zu Recht - ganz empört reagieren, wenn etwa der Bezirksamtschef Markus Schreiber mit einem Metallzaun unter einer Brücke auf St. Pauli Obdachlose aussperren will - und das in dieser so weltoffenen, die Regeln von Anstand und auch ungeschriebenen Gesetzen beachtenden Hansestadt?

Unziemliche Bilder, unanständiger Zaun - unhanseatischer geht es kaum noch. Und das ist etwa das harscheste Urteil, das man hier fällen kann.

Und was macht der Hamburger Sportverein? Er reagiert hanseatisch, also pikiert, als er erfahren muss, dass Wunsch-Trainer Huub Stevens außer mit den Hamburgern auch noch mit den Schalkern verhandelt. Das hat dann aber schon einen strammen Schuss von Scheinheiligkeit, wenn man gleichzeitig im Gegenzug einem anderen Verein den vertraglich gebundenen Trainer Fink abjagen will, notfalls mit einer Millionenabfindung.

Ganz nebenbei: HSV-Präsident Carl-Edgar Jarchow ist Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft. Der Souverän, wie das Parlament als Vertreter des Volkes so fein in Verfassungskommentaren heißt, beschließt Gesetze, die das Zusammenleben regeln und an die sich die Bürger gefälligst halten sollen. Die Bürgerschaft segnet Verträge ab, an die sich die Stadt und ihre Partner ebenfalls halten sollen. Manches ist, ganz gewiss, Geschmackssache. Eines zeigt das Gezerre um den Fink-Transfer, sollte er denn wirklich gelingen, schon jetzt: Der Herr Fink sollte in Zukunft dann einen weiten Bogen um TV-Kameras und die einschlägigen Talkshows machen, in denen bei diversen Trainerentlassungen gerne darüber geklagt wird, dass den Fußballlehrern kaum mehr Zeit bleibt, mittel- und langfristige Konzepte zu entwickeln und Mannschaften aufzubauen.

Das wäre sonst der Höhepunkt der Scheinheiligkeit. Fink hat gerade im kleinen Basel eine Mannschaft aufgebaut, die nicht nur die Champions-League-Qualifikation überstanden, sondern ein 3:3 bei Manchester United erkämpft hat und damit die Gruppe anführt. Der Mann gibt da echt was auf.

Aber wer sagt denn, dass Fink, sollte er beim HSV erfolgreich sein, nicht wieder schwach wird, wenn der nächstgrößere Verein mit noch mehr Millionen winkt.

Auch das ist dann eine Frage des Charakters - und die Hamburger und ihr Sportverein hätten keinen Grund zur Klage. Denn dann wäre das passiert, was bekanntlich häufiger geschieht: Geschichte wiederholt sich.