Manch Jüngere haben es bereits vergessen oder erst gar nicht gelernt: Bonn war einmal die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Hier wurden flammende Reden gen Ostberlin und Moskau gehalten. Und es gab ein Innerdeutsches Ministerium, das, als am 9. November 1989 die Mauer fiel, wie alle anderen auch keinen Plan in der Schublade für die Wiedervereinigung hatte. Dass knapp ein Jahr später das schon für unmöglich Gehaltene möglich wurde, lag an dem Wunsch der Mehrheit, dies zu tun, am Mut der Ostdeutschen zur Veränderung und an der Bereitschaft der Westdeutschen zum Teilen, an der parteiübergreifenden Entschlossenheit gestandener Politiker von Kohl über Genscher bis Schmidt.

Oft ist Kohl danach für sein Wort von den "blühenden Landschaften", die im Osten bald entstehen würden, verlacht worden. Und nach der Entscheidung des Bundestages, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, hat auch mancher Pessimist am Rhein den Untergang vorausgesehen.

21 Jahre nach der Einheit und zwölf Jahre nach dem Berlinumzug von Parlament und Regierung feiert die Republik nun in diesem Jahr turnusgemäß in Bonn. Inmitten einer blühenden Landschaft. Im ehemaligen Regierungsviertel lässt sich die Beschaulichkeit der Bonner Republik besichtigen. Daneben hat sich auch dank 1,5 Milliarden Bundesgeldern ein moderner Wirtschaftsstandort entwickelt. Post und Telekom lenken von hier aus ihre Milliardengeschäfte, Uno-Organisationen und Forschungseinrichtungen haben sich niedergelassen. Insgesamt arbeiten heute weit mehr Menschen in Bonn als zu Regierungs- und Parlamentszeiten. Gejammert wird trotzdem. Denn noch haben fünf Bundesministerien ihren Sitz am Rhein, darunter das Verteidigungsministerium, das nach dem Willen von Minister de Maizière bald komplett an die Spree übersiedeln soll. Und wieder wird befürchtet, dass der Rest dann bald folgen und die Region Schaden nehmen werde.

Klagen gehört, egal aus welcher Himmelsrichtung, zum deutschen Charakter. Aber Bonn wird auch diesmal nicht untergehen. Und wer willens und in der Lage ist, sich die Bilder aus der Endphase der DDR oder vom Zustand des Ostens kurz nach der Wiedervereinigung vor das geistige Auge zu rufen, wird ein geradezu fantastisches Aufblühen nicht leugnen können. Allen anderen sei ein regelmäßiger Abstecher in Archive und Museen oder das gelegentliche Gespräch mit Zeitzeugen empfohlen.

Natürlich konnten nicht alle Träume in Erfüllung gehen, ist die Arbeitslosigkeit im Osten noch viel zu hoch, die Wirtschaft noch schwach, hat der Vereinigungsprozess unendlich viel Mühe und Geld gekostet und manche Region jenseits der Elbe fast entvölkert. Mit der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostblocks haben sich aber auch völlig neue Perspektiven für die Wirtschaft und für Menschen ergeben. Nicht jeder konnte sie nutzen, aber doch die überwiegende Mehrheit, sodass das einige Deutschland heute nach wie vor als eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt dasteht, die wie keine andere auch die gegenwärtige Krise überstanden hat.

Frieden und Freiheit sind außerdem unbezahlbar. Ein Umstand, der auch im derzeit etwas holprig verlaufenden europäischen Einigungsprozess nicht vergessen werden darf. Staaten sind keine Wirtschaftsunternehmen. Sie haben auch die Pflicht, für Schwache und Minderheiten zu sorgen, Interessen aus- und Lebensverhältnisse anzugleichen. Wie gut ihnen das - auch dank ihrer ökonomischen Potenz - gelingt, ist der Gradmesser für ihren Erfolg. Und da müssen wir uns 21 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht verstecken, sondern können auch stolz auf Geleistetes sein und uns durchaus als Vorbild für Europa sehen.