Die Garantiesummen für den Rettungsfonds schnellen in die Höhe, wenn nur eins der kreditwürdigsten Länder herabgestuft wird

Heute entscheidet der Bundestag über die Reform der Euro-Rettung (EFSF). Die Tragweite ist enorm. Und doch weiß kaum jemand, was beschlossen wird.

Es war der 8. Mai 2010. Nur Stundem nachdem der Bundestag einem 129-Milliarden-Euro-Kredit für Griechenland zugestimmt hatte, beschlossen die Regierungschefs der Euro-Zone einen Rettungsschirm, um auch die taumelnden Staaten Portugal, Irland und Spanien zu schützen. Er sollte Kredite bis zu 750 Milliarden Euro gewähren können, aufgeteilt auf den Internationalen Währungsfonds (250 Milliarden), die EU (60 Milliarden) und die neu zu schaffende Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fazilität, kurz EFSF (440 Milliarden). Die Idee hinter der EFSF: Diese nimmt zu niedrigen Zinsen Kredite auf und reicht sie an die kippenden Staaten zu politisch festgelegten niedrigen Zinsen weiter. Damit die EFSF Kredite zu niedrigen Zinsen aufnehmen kann, geben die Euro-Staaten die Garantie, im Ernstfall für die Schulden der EFSF nach festen Anteilen zu haften.

Später erkannte man, dass die EFSF sich die gewünschten 440 Milliarden Euro gar nicht am Kapitalmarkt leihen kann, wenn sie ein erstklassiger Schuldner (mit sogenannter AAA-Bonität) sein will. Denn die bürgenden Staaten sind unterschiedlich kreditwürdig. Nur sechs der 17 Euro-Länder haben eine AAA-Bonität: Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Österreich. Nur sie zählen. Daher sollen nun diese sechs ihre Garantien auf 440 Milliarden Euro aufstocken. Obwohl für die Bonität der EFSF unbeachtlich, sollen auch die anderen Staaten ihre Garantien anteilig erhöhen. Das ergibt eine Gesamtsumme von 780 Milliarden Euro. Hierüber soll der Bundestag jetzt abstimmen.

Die EFSF soll nicht nur höhere Garantien bekommen. Außerdem erhält sie neue Kompetenzen, mit denen der Weg zu Euro-Bonds nicht mehr weit ist.

Erstens soll sie Staatsanleihen kaufen dürfen: zum einen direkt von kippenden Staaten, um sie über Wasser zu halten; zum anderen von Banken und Investoren, die ihre Staatsanleihen mit Ramschqualität loswerden wollen. Letzteres verlagert das Risiko, dass der Staat zahlungsunfähig wird, von den Investoren auf die EFSF und damit auf die Steuerzahler. Zweitens soll sie das Recht erhalten, Staaten "vorsorgliche" Kreditlinien bereitzustellen, also eine Art Dispositionskredit. Drittens sollen EFSF-Gelder für die Sanierung von Banken verwendet werden dürfen.

Diese neuen Instrumente bergen Sprengpotenzial: Wenn die EFSF nicht nur Kredite an marode Staaten vergibt, sondern auch "Kreditlinien" zur Verfügung stellt, Staatsanleihen kauft und Banken Eigenkapital verschafft, besteht die Gefahr, dass selbst 440 Milliarden Euro nicht ausreichen. In absehbarer Zeit wird man wohl dem Bürger erklären, dass aufgestockt werden muss.

Hinzu kommt, dass auch Italien auf der Kippe steht. Der Versuch, über die EFSF auch Italien zu retten, würde ihren Rahmen komplett sprengen.

Besonders bedrohlich wird es, wenn ein Euro-Staat mit AAA-Bonität herabgestuft wird. Wenn Frankreich diesen Status verliert - angesichts verschleppter Reformen ist die Gefahr real -, sinkt das Kreditvolumen, das sich die EFSF mit AAA-Bonität beschaffen kann, um 35 Prozent. Um dennoch auf 440 Milliarden zu kommen, müssen die verbliebenen fünf Länder mit zusätzlichen Garantien einspringen. Entsprechend der EFSF-Konstruktion muss dann der Gesamtgarantierahmen von 780 Milliarden auf eine Billion 200 Milliarden Euro erhöht werden.

Und wenn bei diesen unvorstellbaren Größen einzelne Länder nicht mitmachen? Offenbar wurde dies bedacht: Der neue EFSF-Vertrag, dem der Bundestag heute zustimmen soll, sieht vor, dass die Euro-Staaten einstimmig beschließen können, dass einzelne Staaten der EFSF zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen oder gar die Verpflichtungen der EFSF übernehmen. Hauptadressat dürfte Deutschland sein.

Mit dem Euro wollte man die europäische Integration unumkehrbar machen. Jetzt will man sie noch unumkehrbarer machen, indem man neben die Währungsunion eine Schuldenunion stellt. Es ist allerdings die Frage, ob eine europäische Integration, die auf einer Haftung für die Schulden anderer aufbaut, überlebensfähig ist.