Der Papstbesuch zeigt, wie sich Deutschland vom christlichen Glauben entfernt.

Der Papst besucht sein Heimatland - das klingt nach Heimkehr, nach Freude, nach einem Fest. Doch nach den Begleiterscheinungen der vergangenen Tage entsteht eher der Eindruck, in Berlin träfen in den kommenden Tagen zwei Welten aufeinander. Die Rede des Papstes im Bundestag droht zu einem Tiefpunkt der parlamentarischen Geschichte zu werden. Die Hälfte der Linken-Fraktion, deren Parteispitze erst vor Kurzem überschwängliche Geburtstagsglückwünsche an den kubanischen Despoten Fidel Castro verschickt hat, will den Besuch des vatikanischen Staatsoberhaupts gleich ganz boykottieren. Auch viele Sozialdemokraten und Grüne halten den Gast offenbar für eine Persona non grata und wollen seiner Rede im Bundestag fernbleiben.

Auf der anderen Seite erfüllt der deutsche Papst bei seinem Besuch in der Hauptstadt mehr seine Pflicht als einen lang gehegten Wunsch: Ihm ist die Stadt Berlin, aber auch das säkularisierte Deutschland fremd geworden. Und wenn er auf eine geschiedene Kanzlerin trifft, einen homosexuellen Außenminister, einen homosexuellen Bürgermeister und einen geschiedenen und wiederverheirateten Bundespräsidenten, erlebt er eine deutsche Wirklichkeit, die so ganz anders als ist die von Vatikan und Katechismus gelehrte.

Die Berliner Gastgeber des Papstes repräsentieren überdeutlich ein Volk, das sich in den vergangenen Jahrzehnten von alten Glaubensgrundsätzen gelöst hat. Sie alle sind christlich geprägt - Angela Merkel als protestantische Pfarrerstochter, Westerwelle als evangelischer Christ, Wowereit sowie Wulff aus römisch-katholischen Elternhäusern -, sie alle aber leben ihr Leben so frei, wie es eine moderne Gesellschaft ermöglicht. Gott sei Dank ermöglicht.

Kirche und Gesellschaft sind sich in den vergangenen Jahren fremder denn je geworden. Einer Umfrage des "Sterns" zufolge lässt mehr als 80 Prozent der Deutschen der Besuch des Stellvertreter Christi auf Erden kalt. Hier beginnt das Problem:

Dieses Desinteresse ist nicht modern, es ist armselig. Es zeigt auch, dass die Gesellschaft zusehends ihre Wurzeln verleugnet, ja verliert. Unsere gesamte Kultur ist christlich grundiert; unsere Geschichte ist dadurch geprägt; auch unser Grundgesetz beruft sich im ersten Satz der Präambel auf die "Verantwortung vor Gott". Da darf und muss man in einem aufgeklärten Land mehr Auseinandersetzung mit Glaube und Kirche verlangen - es geht nicht um ein Ja und Amen, es geht um ein "Ja, aber".

Doch diese offene Debatte findet leider kaum statt - neben Desinteresse schlägt gerade der katholischen Kirche in Medien und Meinungen längst eine unangemessene Verachtung entgegen. Die Institution wird auf ihre Sexualmoral, den Zölibat oder die unsäglichen Missbrauchsfälle reduziert. In seiner Ablehnung kann sich noch jeder Kritiker der Kirche in seinem vormodernen Furor als moderner Zeitgeistler feiern lassen. Was die Kirche hingegen an Klugem und Diskussionswürdigem zu militärischen Einsätzen in aller Welt, der Allmacht der Märkte oder einem um sich greifenden Relativismus sagt, wird überhört. Was sie in der Seelsorge, in Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten fürs

Allgemeinwohl leistet, übersehen.

Was sie predigt, übergangen.

Es drängt sich der Eindruck auf, abseits von Weihnachten hat sich unsere Gesellschaft für ein säkulares Leben entschieden - aus Bequemlichkeit und Desinteresse, nicht aus Überzeugung.

Hier liegt die Chance des Papstbesuchs: Er kann alte Lehren neu ins Bewusstsein rufen, der Moral eine Bühne bereiten, Alternativen zum Anything goes aufzeigen. Man kann und wird mit dem Papst streiten müssen, aber zunächst muss man ihm zuhören. Sein Besuch wird zeigen, wie weit Deutschland gekommen ist.