Expertenkommentar Heinrich Stüven plädiert für mehr Warmherzigkeit unter Nachbarn

In meiner Kindheit grassierte der Spruch "Alt und Jung passen nicht zusammen". In der dörflichen Gemeinschaft lebten zum Teil drei Generationen unter einem Dach, und Spannungen waren so permanent auf der Tagesordnung. Dagegen lebt heute in Hamburg rund die Hälfte der Bewohner als Single, also allein mit sich in einer Wohnung. Davon betroffen sind insbesondere auch sehr viele alte Menschen, deren geringe Renten manchmal noch nicht einmal mehr ausreichen, um die täglichen Lebensbedürfnisse abzudecken. Der jahrelange Prozess der Individualisierung spiegelt sich nun in den Wohnverhältnissen wider.

Die Werbung bedenkt uns weiterhin fröhlich mit Slogans wie "Lebe deinen Traum" und suggeriert uns, dass individuelle Selbstverwirklichung die herausragendste aller menschlichen Eigenschaften sei. Nachbarschaft, Rücksichtnahme und das Interesse für Mitmenschen werden dank moderner Kommunikation distanziert und nahezu steril über "soziale Netzwerke" ausgelebt. Cool sein ist angesagt, nicht Warmherzigkeit und Interesse an den Mitmenschen oder Nachbarn. Alte Menschen, die uns vielleicht auch noch so viel zu erzählen hätten, können sich dann noch bestenfalls mit dem Fernseher oder dem lieben Gott unterhalten.

Dabei wäre es doch so einfach zu fragen, wie es heute geht. Die Nachfrage, ob man etwas vom Einkaufen mitbringen könne, tut niemandem weh und hilft ungemein. Allein schon das Angebot, in Notfällen da zu sein, reicht aus, dem Nachbarn Ängste zu nehmen. Es mangelt nicht an Zeit, sondern an der Einsicht, sich seinen Mitmenschen zu öffnen. Als unsere Nachbarin im hohen Alter starb, tat sie das zu Hause im Kreise ihrer Familie, und auch wir Nachbarn hatten die Möglichkeit, uns von ihr zu verabschieden. Für mich eine schöne Vorstellung, so zu gehen. Nachbarschaftliche Beziehungen sind eine große Herausforderung, aber wir können auch an ihnen wachsen.

Heinrich Stüven ist Vorsitzender des Hamburger Grundeigentümer-Verbandes