Hagenbecks Geschäftsführer im Abendblatt: Seine Philosophie ist: Respekt vor dem Tier. Den lernte er schon als Kind in Südafrika.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der fünften Folge vor einer Woche: Maximilian Gege

Stephan Hering-Hagenbeck trägt klitzekleine Eisbären bei sich. Als silberne Manschettenknöpfe am Hemd. Solche Nähe zeigt der Doktor der Biologie zu seinen lebenden Tieren höchst selten. Nur wenn es unausweichlich ist, posiert er schon mal mit ihnen. Seine Philosophie: "Es geht mir um den Respekt vor dem Tier. Natürlich nehme ich beim Impfen, was wir gelegentlich auch mit einer Taufe verbinden, auch schon mal ein Löwenjunges kurz hoch. Aber ein Wildtier ist sicher nicht darauf angewiesen, von uns geknuddelt zu werden", sagt der 43-Jährige mit Nachdruck und Leidenschaft in der Stimme. Über Tiere, artgerechte Haltung und Besucherattraktionen zu sprechen ist für ihn Beruf und Berufung zugleich.

Im Jahr 2000 stieg er in das 1907 eröffnete Familienunternehmen ein, zuerst als Praktikant, der auch Ställe ausmistete und die Tiere fütterte. "Ich wollte wenigstens zwei, drei Tage in allen Bereichen gewesen sein, denn nur so weiß man auch, wie es sich anfühlt, täglich acht Stunden harte körperliche Arbeit hinter sich zu haben", sagt Hering-Hagenbeck. Dann folgte seine Zeit als Tierparkinspektor, seit 2004 ist er - zusammen mit Joachim F. Weinlig-Hagenbeck - Geschäftsführer des Traditionsunternehmens. Er übernahm den Posten von seinem Schwiegervater Carl Claus Hagenbeck in sechster Generation, kümmert sich vor allem um das Zoologische und Tiergärtnerische.

+++ Der rote Faden durch Hamburg +++

Und um die Neubauten. Auch ihnen widmet er sich mit Hingabe, gestaltet sie nach seinen Vorstellungen. Wie sein aktuelles Projekt, das neue Eismeer. Noch ist es eine Baustelle, aber vom Frühjahr 2012 an wird der Tierpark auf 8000 Quadratmetern mit großzügigen Gehegen, Unterwasserscheiben, einer Aussichtsplattform und einem Rundweg den Besuchern Eisbären, Robben, Seevögel und verschiedene Pinguinarten neu präsentieren.

Stephan Hering-Hagenbeck führt über das Areal, trägt zu Nadelstreifenhose, Sakko und Regenjacke schwarze Gummischuhe, denen der Matsch nichts anhaben kann. Er kennt jede Biegung des verschachtelten Geländes, balanciert gekonnt und flink über Holzbohlen, rutscht kleine Abhänge hinab - unzählige Male ist er diesen Weg schon gegangen. Mit Begeisterung erläutert er dabei seine Überlegungen zum neuen Zuhause der Eisbären. "Wir kopieren die natürlichen Lebensräume der Tiere und stellen Zusammenhänge in Panoramen dar", erklärt er und deutet vom höchsten Punkt, der Aussichtsplattform auf dem Bergplateau, hinab auf die Anlage der Eisbären. Ein Blick wie in ein Amphitheater. Offen, mit viel Licht und Platz. Fast neun Meter hoch können die Bären bald klettern, auf Granitfelsen, wie sie für Spitzbergen typisch sind. Sandstein, wie er den antarktischen Lebensraums prägt, gibt es für die Humboldt-Pinguine und Robben.

Mit großem Aufwand bilden Fachleute die Gesteinsformationen, -farben und -größen nach: Riesige, mit Netzen bespannte Stahlkonstruktionen werden mit Beton bespritzt und anschließend naturgetreu modelliert und bemalt. Neben detaillierten Modellen dienen als Vorlagen Tausende Fotos, die Hering-Hagenbeck auf seinen Expeditionen geschossen hat. Für dieses Projekt bereiste er mehrere Wochen Spitzbergen und die Antarktis. Dort beobachteten er und sein Expertenteam die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum. "Die Eindrücke, die wir dort sammeln konnten, wollen wir auch den Besuchern vermitteln", sagt Stephan Hering-Hagenbeck, der 2009 den Umweltpreis der Bundesdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) von den Hamburger Gründern Georg Winter und Maximilian Gege bekam.

Denn eine weitere Herausforderung sieht Hering-Hagenbeck darin, den Tierpark innovativ und vorbildlich zu bewirtschaften. Er setzt unter anderem auf Solarenergie für die Pumpen, die die Wassertemperatur in den Anlagen regulieren. Möglichst ohne CO2-Ausstoß sollen die 5,5 Millionen Liter Wasser im Eismeer auf stetige 14 Grad Celsius gekühlt werden. "Aber wir wollen uns nicht in die Tasche lügen, natürlich brauchen wir auch zusätzliche Energie, zum Beispiel für die natürliche Wasseraufbereitung", sagt er, während er das ausgeklügelte Kühlsystem, das er mit dem Generalplaner Geising+Böker und Hamburg Wasser entwickelt hat, auf eine Seite seines Kalenders malt. Die für die Beckenwasserkühlung benötigte Kälte "klauten" sie über Kältetauscher, die an den in der Erde liegenden Leitungen des Wasserunternehmens angedockt seien.

Nach dem Baustellen-Rundgang sitzt Hering-Hagenbeck wieder in seinem Büro, einem Baucontainer. Er glättet seine Krawatte mit der Handfläche. Später, erzählt er, ging es dann noch einmal in die Antarktis, zum genauen Studium des Pinguinlebens. "Expeditionen gehörten immer schon in die Geschichte von Hagenbeck. Man orientierte sich zunächst einmal am Original." Außerdem erfahre er immer unerwartet Neues, beispielsweise war er überrascht, wie exzellent und gekonnt Eisbären klettern können. "Bei der Gehegegestaltung fragen wir uns deshalb immer, was das Tier braucht, um in menschlicher Obhut aktiv zu sein und sich wohlzufühlen", sagt Hering-Hagenbeck, "und dann soll der Besucher das Gefühl bekommen, Teil des Lebensraums der Tiere zu sein. Und Pinguine sind eben laut und stinken nach Guano." Und so wird auch der Geruch der flüssigen Exkremente von Seevögeln in der Luft liegen.

Gerüche und Geräusche, die Hering-Hagenbeck schon seit seiner Kindheit begleiten: Als er sechs Jahre alt war, zog seine Familie für fast fünf Jahre nach Johannesburg. Dort in Südafrika arbeitete der Vater als Diplom-Ingenieur bei einer großen deutschen Firma. "Diese Zeit hat mich schon sehr geprägt", sagt der gebürtige Frankfurter, der seiner Mutter liebend gern Schlangen und andere Tiere mit nach Hause brachte. Die Ferien im Busch zu verbringen, das war das Größte für den Jungen. Und diese Begeisterung sollte sein Leben fortan mitbestimmen. "Schon in meiner Schulzeit hat mich die große weite Welt gereizt, ich wollte immer gern mehr über andere Kulturen erfahren und hatte glücklicherweise die Möglichkeit, viele Praktika im Ausland zu machen", sagt der Wahl-Hamburger, der in der Mabula Game Lodge in Warmbath (Südafrika) und auch im Marinebiologischen Institut der Lomonosow Universität Moskau am Weißen Meer hospitierte.

Er studierte unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin, "dort war ich ab 1991, wechselte ins dritte Semester, eine irre spannende Zeit nach dem Mauerfall", sagt er. Er war einer von nur 80 Studenten der Biologie, wobei ihm eine Kommilitonin "ins Auge fiel", wie er lächelnd berichtet: Bettina Hagenbeck, Tochter von Tierparkchef Carl Claus Hagenbeck. "Zwischen uns hat sich eine Freundschaft entwickelt, 1993 haben wir uns verlobt, zwei Jahre später geheiratet", erzählt Hering-Hagenbeck. Und mit der Verlobung fragte ihn sein Schwiegervater in spe, ob ihm klar sei, dass er in die Tierpark-Geschäftsleitung einscheren würde.

Er lacht leise. Eigentlich sei er kein Tierparkgänger gewesen. "Ich habe mich damit auseinandergesetzt und war fasziniert von der Tradition, dem unternehmerischen Geist und der Vision, mit der Hagenbeck geführt wurde. Für alle, beispielsweise die Pfleger, ist die Arbeit hier eine Berufung, sie haben in den Bombennächten im Krieg bei den Tieren gewacht, und manche sind schon in der dritten Generation bei uns", sagt er. Und auch vor dem Vater seiner Ehefrau habe er großen Respekt. "Ende 2003, an seinem Geburtstag, rief er mich an und sagte: 'Mein Schreibtisch ist frei, du kannst einziehen.'" Bis heute halte er ihn auf dem Laufenden, doch "er hält sich aus dem Tagesgeschäft raus". Das sei auch nichts für seine Ehefrau gewesen, die sich - genau wie er selbst - immer eine Familie gewünscht habe. So kümmert sich Bettina Hagenbeck um die drei Kinder Charlotte, Carl-Friedrich und Cecilie, die 13, zwölf und neun Jahre alt sind. "Dafür habe ich sehr viel Hochachtung vor ihr", sagt Hering-Hagenbeck, der mit seiner Familie im Park lebt. "Unseren Wohnort sehe ich ambivalent, es hat große Vorteile, direkt am Ort zu leben, aber manchmal hätte ich auch gern mehr Abstand." Beim Tierpark Hagenbeck gebe es keinen Feiertag, "vergleichbar mit einem Hotel läuft alles 365 Tage 24 Stunden lang". In der Freizeit zieht es Hering-Hagenbeck mit Familie oft in die Natur, auf dem Fahrrad.

Der Drang nach draußen sei etwas, das ihn mit seiner Ehefrau eng verbinde. Gemeinsam haben sie in freier Wildbahn schon einiges erleben dürfen. "Nach unserer Hochzeit waren wir drei Jahre lang für meine Doktorarbeit in Südafrika, jede zweite Woche waren wir tagelang draußen, von der Kalahari bis in den Krüger-Nationalpark, und haben dort Reptilien, Schlangen und Eidechsen gesammelt", sagt er. Ohne sie hätte er die Feldstudie für seine wissenschaftliche Arbeit über Reptilienparasiten nicht so geschafft. "Das verbindet. Bettina kannte alle Tiere, die uns umgeben haben." Bisweilen schlichen auch Löwen nachts ums Zelt. Hering-Hagenbeck schmunzelt: "Ich minimiere gerne meine Risiken, deshalb hatten wir immer auch eine Waffe dabei, wir haben sie allerdings nie benutzen müssen."

Dennoch, er sehe sich nicht als Einsiedler, vielmehr als Menschen, der beide Welten braucht: "Ich bin glücklich in der Oper, aber auch in einer Jurte in der Mongolei."

Dr. Stephan Hering-Hagenbeck gibt den roten Faden an Prof. Dr. med. Friedrich-Christian Rieß weiter. Den Chairman des Albertinen-Herzzentrums und Chefarzt der Klinik für Herzchirurgie wählte er vor allem wegen dessen "Herzbrücke" aus: Als medizinischer Leiter des Projekts der Albertinen-Stiftung hat Rieß mit seinem Team seit 2005 ehrenamtlich fast 90 herzkranke afghanische Kinder und Jugendliche operiert, die aus ärmsten Verhältnissen stammen. "Auch wir hatten ein sechsjähriges Kind bei uns aufgenommen, und ich finde diese Initiative großartig, denn die Kinder fliegen gesund zurück. Ein Beitrag zum gegenseitigen Respekt", sagt Hering-Hagenbeck..