Regierung und Parlament müssten eine Verfassungsklage gegen die Rechten besser vorbereiten als 2001, als das Vorhaben scheiterte

"Gas geben!", lautet ein Slogan auf NPD-Plakaten im Berliner Wahlkampf. "Widerlicher geht es kaum", sagt dazu Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden. Recht hat er - und verlangt erneut ein NPD-Verbot. Zu den Befürwortern zählen auch Politiker von SPD und CDU in Mecklenburg-Vorpommern, wo bei der Landtagswahl am 4. September die Hoffnung besteht, die Rechtsextremisten diesmal unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken.

Vor wenigen Wochen lieferte die rechtsradikal und anti-islamisch geprägte Bluttat in Norwegen den Anlass für entsprechende Forderungen, und bei der Frühjahrskonferenz seiner Amtskollegen machte Hamburgs Innensenator Michael Neumann einen Vorstoß. Auf solche Initiativen reagieren postwendend die Bedenkenträger mit Hinweisen auf erhebliche Risiken für einen neuen Verbotsantrag. So auch der Bundesinnenminister. Immerhin hat er seine Mitwirkung an einer Länder-Arbeitsgruppe zugesagt, die im Herbst die rechtlichen Voraussetzungen prüfen soll. Verläuft das Vorhaben im Sande, kann sich die rechtsradikale Szene wieder mal ins Fäustchen lachen.

Zweifellos ist es wünschenswert, die NPD aus dem Parteienspektrum zu verbannen. Sie agitiert antisemitisch und friedensfeindlich; sie transportiert nationalsozialistisches Gedankengut, sie unterwandert die parlamentarische Demokratie. Dass sie staatliche Gelder kassiert, damit Aufmärsche organisiert und über Rock-Konzerte Jugendliche anwerben kann, ist eine permanente Provokation. Als Antwort eignet sich die seit Jahren litaneihaft wiederholte Verbotsforderung nicht - wenn sie folgenlos bleibt! Mit ihrer Unschlüssigkeit leisten sich die Repräsentanten des Rechtsstaats einen Bärendienst.

Denn darin liegt der große Unterschied zur Situation im Herbst 2000. Unter dem Eindruck der Ermordung eines Mosambikaners in Dessau und eines fremdenfeindlichen Anschlags in Düsseldorf betrieben Regierung, Bundestag und Länderkammer im breiten Konsens das Verbotsverfahren. Ein machtvolles Zeichen der Einmütigkeit! Am 30. Januar 2001 reichte die Bundesregierung den Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Gut zwei Jahre später dann der Rückschlag: Drei von sieben Verfassungsrichtern sahen es als "Verfahrenshindernis" an, dass V-Leute innerhalb der Gremien der NPD deren Tun und Treiben beobachtet und ihre Erkenntnisse an die Sicherheitsbehörden geleitet hatten. Somit sei der Staat selbst indirekt an der Willensbildung in der Partei beteiligt. Das Votum der Minderheit reichte, um das Vorhaben zu kippen. Die Verhandlung wurde gar nicht erst eröffnet. Ein Disput über Wesen und Wirken der NPD blieb aus.

Diese Erfahrung steckt den Sicherheitsbehörden in den Knochen, daher das Zögern und Zagen. Andererseits: Vier von sieben Verfassungsrichtern sahen die Lage damals anders! Und es sollte heute möglich sein, allein auf der Basis offen zugänglicher Quellen - also anhand von Texten, Slogans, Äußerungen der Funktionäre - zu belegen, dass die Partei mit aggressiven Mitteln unsere freiheitliche Grundordnung aus den Angeln heben will (eine kämpferisch-aggressive Haltung ist Voraussetzung für ein Parteiverbot).

Natürlich ist das Ausschalten der NPD keine Wunderwaffe gegen das krause Gedankengut, das in manchen Köpfen nistet: diese Mischung aus pauschaler Islam-Feindlichkeit, Hass auf Einwanderer, Angst vor Globalisierung und dem Verlust einer engstirnig definierten "Leitkultur". Ein Verbot nützt auch wenig gegen rechtsradikale Propaganda im Internet. 6000 Beiträge solcher Art registrierte die Online-Jugendschutzstelle 2010 - dreimal so viele wie im Jahr zuvor! Dagegen helfen am ehesten politische Aufklärung, Bundes- und Länderprogramme zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins und ziviles Engagement, das es gottlob gibt. Ein NPD-Verbot wäre aber immerhin ein starkes Signal.

Eine Länder-Arbeitsgruppe allein wirkt da nur als zaghaftes Zeichen. Vielmehr müssen Regierungsvertreter und Parlamentarier zügig und in parteiübergreifender Allianz klären, ob alle V-Leute aus den Verbänden der NPD abgezogen werden können und die Beweise aus offenen Quellen Chancen auf ein Verbot eröffnen. Schaffen sie das nicht, sollten sie sich ab sofort jede öffentliche Verbotsforderung verkneifen.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), 69, lebt in Hamburg; sie war von 1998 bis 2002 Staatssekretärin im Innenministerium