Teil III des Schwerpunktthemas Lesen und Schreiben lernen: Ein junger Lehrer und seine erfahrene Kollegin im Doppelinterview.

Hamburg. Ulrike Schittek, 60, ist seit 1973 Grundschullehrerin an der Schule Arp-Schnitger-Stieg in Neuenfelde. Benjamin Miller, 37, unterrichtet an der Volksdorfer Grundschule Ahrensburger Weg. In einem Abendblatt-Gespräch diskutieren sie das Unterrichten gestern und heute.

Hamburger Abendblatt: Frau Schittek, wie haben Sie Ihren ersten Schülern das Schreiben beigebracht?

Ulrike Schittek: Mit der Fibel "Fara und Fu", die gerade erschienen war. Sie war nach der bis dahin verwendeten Ganzwortmethode überaus modern. In meinen beiden ersten Klassen habe ich mich ziemlich genau an die Vorgaben der Fibel gehalten. Die Kinder haben Schlüsselwörter gelernt und diese gleich in ihre Buchstaben zerlegt. Später habe ich das Material differenzierter genutzt. So brav Seite für Seite lernen, alle Kinder im selben Tempo, das hat sich nicht bewährt.

Herr Miller, nach welcher Methode lernen Ihre Schüler das Schreiben?

Benjamin Miller: Ich habe vielfältiges Material und Lehrwerke - Bücher, Medien wie Smartboards, Lernprogramme am PC oder im Internet. Die verschiedenen Methoden setze ich nach dem individuellen Bedarf der Kinder ein.

Schittek: Es gibt aber Kinder, die feste Strukturen brauchen. Die sind überfordert, wenn sie selber bestimmen können, was und wie schnell sie lernen ...

Miller: Dank des individualisierten Unterrichts habe ich genügend Zeit für sie, wenn die anderen Schüler mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt sind.

Wie hat sich die Didaktik des Schreibens seit 1973 verändert?

Miller: Man wendet heute eher Rechtschreibstrategien an und gibt den Kindern Hilfen an die Hand, Wörter so zu verstehen, dass sie sie schreiben können - etwa mit der Silbenmethode. Die Vermittlung von Lerninhalten hat sich auf die Vermittlung von Lernkompetenzen verlagert.

Schittek: Ja, etwa beim Umgang mit Fehlern. Früher herrschte Rotstiftpädagogik, Fehler wurden ausschließlich vom Lehrer markiert. Heute bekommen die Kinder nach einem Diktat die Möglichkeit, ihre Fehler durch das Benutzen eines Wörterbuches selber zu finden.

Wie hat sich die Lehrerrolle verändert?

Miller: Früher war der Lehrer ein Belehrer, ein Wahrheitsträger. Heute begleitet er mehr und mehr Lernprozesse. Er beobachtet, ist im Dialog, findet die Schwächen der Schüler heraus und bespricht Ziele mit ihnen.

Schittek: Solche Überlegungen hat man früher nicht angestellt. Erst in den 90er-Jahren habe ich gemerkt, dass der Gleichschritt beim klassischen Frontalunterricht den Kindern nicht gut tut. Seitdem arbeite ich fächerübergreifend und mit Wochenplänen.

Wie steht es mit den Schülern?

Schittek: Viele können immer weniger Frustration aushalten, können kaum ein Nein akzeptieren. Auch Ehrgeiz und die Anstrengungsbereitschaft fehlen vielen. Außerdem haben Schüler heutzutage oft Probleme zuzuhören. Viele werden permanent beschallt - durch Fernseher und Radio, die zu Hause oft den ganzen Tag laufen.

Miller: Hören ist auch eine Beziehungsdimension. Wenn innerhalb der Familien nicht miteinander gesprochen wird, etwa weil der Fernseher läuft, fühlen Kinder sich nicht angesprochen. Doch es reicht nicht, nur die Medien zu verteufeln. Im Blickpunkt muss liegen, wie Erwachsene mit Kindern umgehen.

Stehen Eltern Lehrern heute anders gegenüber als früher?

Miller: Früher waren Lehrer für sie eine Respektsperson qua Institution. Heute muss man sich Respekt über seine Persönlichkeit verschaffen.

Schittek: Wenn sich die Schüler früher bei ihren Eltern über den Lehrer beklagt haben, dass er sie ausgeschimpft oder ihnen eine Strafarbeit aufgegeben hat, standen die Eltern auf der Seite des Lehrers - auch, wenn sie nicht mit seinem Handeln einverstanden waren. Heute beschweren sie sich sofort.

Überträgt sich dieser Verlust an Respekt auf die Kinder?

Schittek: Ja. Sie fangen an, Aufträge zu diskutieren, widersprechen oder verweigern sich.

Miller: Wer heute Respekt einfordert, muss über eine Professionalität im Führen von Beziehungen verfügen. An meinem früheren Arbeitsplatz in Harburg sind Schüler mir hin und wieder respektlos begegnet - dort habe ich konsequent mit der Polizei zusammengearbeitet. Auch im Umgang mit Eltern ist Professionalität gefragt. Noch spielt das in unserer Ausbildung eine zu geringe Rolle.

Wie hat sich die Zusammensetzung der Schülerschaft geändert?

Schittek: Vor 40 Jahren gab es ein, zwei ausländische Schüler, mittlerweile besteht die Hälfte der Schülerschaft aus muslimischen Kindern.

Gibt es Fortschritte bei der Integration?

Schittek: Nein. Bei uns lebt eine sehr traditionelle Elternschaft, die ihre Kinder auch so erzieht. Es gibt leider kaum Freundschaften zwischen muslimischen und deutschen Kindern. Oft ist auch eine intensive Überzeugungsarbeit notwendig, um die muslimischen Kinder mit auf eine Klassenfahrt zu bekommen. Ihre Eltern haben Angst, dass die Kinder dort nicht nach ihren traditionellen Regeln leben können.

Wie sieht es mit Eltern-Engagement aus?

Miller: Elternarbeit ist ein zentraler Aspekt, der sich sehr verändert hat, die gab es früher so nicht. Dabei ist sie besonders wichtig. Denn wenn Eltern sich in der Schule engagieren, sind auch ihre Kinder motivierter.

In der Mittwochausgabe lesen Sie: Grundschrift oder Schreibschrift? Zwei Lehrer erklären, warum sie was bevorzugen. Dazu: Wie war das eigentlich früher?