Eine Beobachtung von Kerstin Teuber

Das Auto - ein Refugium. Obwohl im Wagen von allen Seiten einsehbar, fühlt man sich als Fahrer völlig unbeobachtet. Wer viel Zeit in seinem Gefährt verbringt, baut unvermeidlich eine emotionale Verbindung zum Blech auf, das Auto wird zum zweiten Zuhause. Warum sollten also Hamburgs Autofahrer Dinge, die sie zu Hause machen, nicht auch im Wagen erledigen können? Aber: Radiohits mitsingen war gestern, Morgentoilette ist der neue Renner auf den vollen Straßen der Innenstadt.

Die "Viertelstunde im Bad" wird immer öfter zum Fahrersitz verlegt: Rasieren statt rasen ist das Motto. Zum Beispiel auf der Edmund-Siemers-Allee. Dort braucht der pflegebewusste Großstädter morgens durchschnittlich so lange vom Grindel bis zum Dammtor wie zu Hause vom Spiegel bis zum Kleiderschrank. Genug Zeit also, um den Elektrorasierer, der schon vertraut am Zigarettenanzünder angestöpselt brummt, anzuwerfen. Das schult nicht nur die Multitasking-Fähigkeit der Männer, sondern ist auch ein echtes Spektakel zum Zuschauen. Beeindruckend, mit welcher Präzision und Schnelligkeit die männlichen Verkehrsteilnehmer die Kurven an Hals und Kinn nehmen.

Frauen machen aus ihrem Wagen hingegen ein fahrendes Kosmetikstudio: Im Handschuhfach wartet der Erste-Hilfe-Kasten mit Mascara, Rouge und Lipgloss für ein schnelles Feintuning, im Getränkehalter hat die Haarspraydose schon längst den Coffee to go verdrängt. Und falls der Nagellack mal ab ist, wird in den Ampelphasen zwischen Uni, Rothenbaumchaussee und Alsterglacis noch schnell aufpoliert. An der Kennedybrücke noch eine kurze Inspektion im Rückspiegel, und frisch frisiert geht es auf die Zielgerade Richtung Arbeit.