Kurz vor dem Bahnhof Königstraße sitzen 600 Menschen in der S 3 fest. Zwei Frauen brechen zusammen. Passagiere flüchten auf die Gleise.

Altona-Altstadt. Dicht an dicht, sprichwörtlich wie die Sardinen in der Dose, standen und saßen die Passagiere der S-Bahn 3, als der Zug knapp 50 Meter vor dem Bahnhof Königstraße im Tunnel stehen blieb. Glücklich schätzen konnte sich, wer noch einen Sitzplatz ergattert hatte. Wo der Fahrtwind kurz zuvor noch etwas Abkühlung gebracht hatte, kroch schwüle Hitze in die Waggons. Die Luft wurde knapp. Die Passagiere ächzten, schwitzen. Kinder begannen zu weinen. Im Halbdunkel der Notbeleuchtung stieg Ungeduld herauf. "Mal sehen, wie lange es dauert, bis der Erste umgefallen ist", verbreitete einer der Eingeschlossenen per Smartphone über Facebook.

Mehr als eine halbe Stunde mussten rund 600 Passagiere am Sonnabendabend in einer völlig überfüllten S-Bahn zwischen den Stationen Altona und Königstraße ausharren, bevor der Zug durch Bundespolizei und Feuerwehr evakuiert wurde. Zwei Frauen, 24 und 26 Jahre alt, mussten danach behandelt werden. In der Enge und der Hitze war ihr Kreislauf zusammengebrochen. Für eine von ihnen endete die Fahrt, die nach dem HSV-Spiel an der Imtech-Arena begonnen hatte, im Krankenhaus, wo sie sich nun stationär erholen soll.

Warum der Zug so lange im Tunnel feststand, wird derzeit ermittelt. Die für die Bahnanlagen zuständige Bundespolizei hat alle Videoaufzeichnungen am Bahnhof Königstraße und den betroffenen S-Bahnen gesichert. Sie sollen in den kommenden Tagen ausgewertet werden, ebenso die Notrufe aus den Zügen: Mehrere Personen berichteten von panikartigen Reaktionen. Vorausgegangen waren Ausschreitungen von Fußballfans in einer vorausfahrenden Bahn, weshalb die nachfolgenden stockten. Das Fass zum Überlaufen aber brachten die Passagiere wohl selbst: Als sie nach einigen Minuten des Wartens die Türen der S-Bahn eigenständig öffneten. Daraufhin musste der Strom auf der Strecke abgestellt werden. Und die Reisenden saßen endgültig fest.

Wie aus dem Protokoll der für die Bahnanlagen zuständigen Bundespolizei hervorgeht, waren gegen 18.35 Uhr mehrere Anrufe in der Notfallleitstelle eingegangen, wonach sich in einem Zug der Linie S 1 angetrunkene Anhänger von HSV und Hertha BSC prügeln würden. Der Zug wurde daraufhin an der Station Königstraße angehalten, knapp 20 Bundespolizisten suchten nach den Randalierern, fanden allerdings keine.

Sieben Minuten später, eigentlich sollte der Verkehr wieder freigegeben werden, kam erneuter Alarm aus der Leitstelle: Mehrere Personen liefen im S-Bahn-Tunnel herum. Gingen die Einsatzkräfte zunächst davon aus, dass sich die prügelnden Fans in dem Tunnel geschlagen hatten, stellte sich wenig später heraus, dass Passagiere der nachfolgenden Bahn die Türen geöffnet und teils auf die Gleise gelaufen waren.

Irgendwann hatten auch die Durchsagen des Zugführers, Geduld und Ruhe zu wahren, nichts mehr geholfen. Möglicherweise angetrunken und noch vom Spiel erhitzt, hatten sich einige wenige Luft verschafft, ein Fenster zerstört und die Notverriegelungen der Türen geöffnet. Wie Bahn-Sprecherin Sabine Brunkhorst mitteilte, informierte der Zugführer daraufhin den Leitstand der Bahn, der die Bundespolizei rief.

Zur Sicherheit der Herumirrenden wurde die Stromschiene abgeschaltet: "Wir mussten sichergehen, dass die keinen lebensgefährlichen Schlag an der Gleichstromschiene erhalten oder von einer S-Bahn überfahren werden", sagte Oliver Schrieber, der Einsatzleiter der Bundespolizei, "so gibt es die Notfallprozedur vor." Zudem musste die Leitung noch durch die Feuerwehr geerdet werden, um einen Stromschlag durch Restspannung auszuschließen.

Für die im Zug Verbleibenden hieß das: Aus zehn Minuten Wartezeit wurde mehr als eine halbe Stunde. Entsprechend gereizt war die Stimmung, als Bundespolizisten und Feuerwehrleute endlich zum Zug kamen und die Passagiere Waggon für Waggon und in kleinen Gruppen aus dem Tunnel zum Bahnhof Königstraße brachten.

Wie viele Passagiere den Weg allein aus dem Tunnel fanden, ist noch nicht bekannt. "Sicher ist", sagte Bahnsprecherin Brunkhorst, "dass sie sich in absolute Lebensgefahr begeben haben." Die Evakuierung eines Zuges sei immer das allerletzte Mittel und zudem sehr schwierig, da die Passagiere über das Gleisbett herausgebracht werden müssten. "Die Fahrgäste sind im Zug immer am sichersten aufgehoben", betonte sie.

Die An- und Abreise bei Fußballspielen birgt immer ein höheres Konfliktpotenzial", ergänzte Birger Wolter vom Fahrgastverband Pro Bahn. Im vorliegenden Fall hätte wohl auch das Alkoholverbot nichts geholfen. "Man kann nur von Glück sagen, dass nicht mehr Menschen zu Schaden kamen und der Strom schnell abgeschaltet wurde."