Eine Glosse von Hans Wacker

Er ist immer noch kerzengerade. Die Gelenke funktionieren, ohne dass es knirscht und knackt. Seine Haut ist straff, wirft nur Falten, wenn er mal entspannt zur Ruhe kommt. Erstaunlich für sein Alter. 45 Jahre schon ist er zu Diensten. Meist steht er in der Ecke, aber in diesen Tagen kann sich der Regenschirm über Mangel an Einsatz nicht beklagen. Er sorgt dafür, dass unsereiner angesichts erhöhter Luftfeuchtigkeit seinen trockenen Humor bewahrt.

Fast ein halbes Jahrhundert gibt es diesen Beschützer mit dem knorrigen Griff. Dieser Schirm ist nicht zu vergleichen mit den Exemplaren aus Ein-Euro-Shops. Er besitzt einen Wert, den man seinerzeit weder in Mark noch heute in Euro ausdrücken sollte. Der Schirm ist solider als so manche Währung. Ein Traum ...

Leider ist sein Name in letzter Zeit in Misskredit geraten. Schirmherren der Währungen spannen einen nach dem anderen auf, und das Geld schwimmt doch davon; verteilen Schirme wie Werbegeschenke, nicht nur, um vor einem Schauer zu schützen, sondern um ganze Länder vor Wolkenbrüchen mit Sintflutfolgen zu bewahren. Das passt überhaupt nicht zu den Geldhändlern, die sich nicht nass machen lassen. Sie zieren sich ja auch. "Ein Bankier ist ein Mensch, der seinen Schirm verleiht, wenn die Sonne scheint, und ihn sofort zurückhaben will, wenn es zu regnen beginnt", bemerkte schon der Schriftsteller und Satiriker Mark Twain.

Der kurze Traum beim Gang durch den Regen endet, als plötzlich die Wolken aufreißen. Nach jedem Regen scheint auch wieder die Sonne. Also, Regenschirm, entspann dich.