Einzelhandel leidet bereits unter Kaufzurückhaltung. Die Hafenwirtschaft fürchtet weltweite Rezession. Arbeitsagentur setzt notfalls auf Kurzarbeit.

Hamburg. Die kräftigen Verluste an den Börsen in den vergangenen Tagen schüren die Angst vor einer neuen Wirtschaftskrise. So befürchten einige Experten bereits eine neue Rezession in den USA. Auch in Asien hat sich die Konjunktur abgeschwächt, weil in mehreren Ländern dort die Zinsen spürbar gestiegen sind. Das Abendblatt hat für verschiedene Branchen nachgefragt, was die aktuelle Phase der Verunsicherung für die stark vom Welthandel abhängige Hamburger Wirtschaft bedeuten könnte.

Einzelhandel

Schon vor den jüngsten Kursstürzen am Aktienmarkt war das Konsumklima in Hamburg gedämpft: "Die Inflationsgefahren und die Sorge um den Euro bedeuten, dass die Menschen ihr Geld eher zurückhalten", sagte Ludwig Görtz, Präsident des Landesverbandes des Hamburger Einzelhandels. Die hohen Verluste an der Börse und die Rating-Herabstufung der USA hätten die "allgemeine Unsicherheit" noch verstärkt, ebenso wie die widersprüchlichen Reaktionen der Politiker auf die Schuldenkrise. Zwar bleibe zu hoffen, dass das "Gewitter" vorübergehe und sich zum Herbst wieder eine bessere Stimmung breitmache. "Im Moment sieht es aber nicht danach aus", so Görtz. Schon im bisherigen Jahresverlauf hätten sich die Umsätze in der Hansestadt nicht so gut entwickelt wie Ende 2010 angenommen: "Wir erreichen mit Mühe das Vorjahresniveau."

Luftfahrt

Für Airbus ist das Jahr 2011 bislang exzellent verlaufen: Bis Ende Juli kamen - abzüglich der Stornierungen - Bestellungen über 735 neue Jets herein. Damit wuchs das Auftragspolster erheblich, denn ausgeliefert wurden im gleichen Zeitraum 298 Maschinen. Der Flugzeugbauer peilt bis Jahresende einen Produktionsrekord von 520 bis 530 Jets an. "Schon innerhalb der nächsten zwei Monate wird sich die Ertragslage der Kunden, also der Fluggesellschaften, aber spürbar verschlechtern", erwartet der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Allerdings gebe es einen gewissen Ausgleich durch den niedrigeren Ölpreis. "Zudem haben beide großen Flugzeughersteller gelernt, mit einer klugen Firmenpolitik auf Abschwünge zu reagieren, sodass die vorige, sehr tiefe Krise ziemlich spurlos an ihnen vorübergegangen ist", so Großbongardt. "Airbus wie auch Boeing sind derzeit dabei, die Produktion hochzufahren. Diesen Anstieg der Fertigungszahlen können die Hersteller einfach abflachen, wenn das nötig werden sollte."

Schifffahrt

Für den Hamburger Hafen und seine wichtigen Containerverkehre bergen Einbrüche im Finanzbereich stets die Gefahr, dass sich die nervöse Stimmung auf den Handel auswirkt. Nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers vor knapp drei Jahren dauerte es zwei bis drei Monate, ehe diese Wirkung einsetzte. Es fehlte Ladung für die weltweite Linienschifffahrt. Im Jahr 2009 ging der Containerumschlag in Hamburg von knapp zehn auf noch leicht über sieben Millionen Standardcontainer (TEU) zurück. "Wenn durch die nervösen Börsen eine weltweite Rezession ausgelöst wird, kann es wieder zu negativen Einflüssen auf die Handels- und Umschlagmengen kommen", sagt Burkhard Lemper, Direktor beim Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL). Zudem gebe es Überkapazitäten bei den Schiffen.

Bisher hält das ISL jedoch an seiner Prognose von einem weiter steigenden Umschlag fest. "Wir erwarten für 2011 ein weltweites Plus von neun bis zehn Prozent und bis 2020 einen jährlichen durchschnittlichen Zuwachs um 6,5 Prozent", sagt Lemper. Das Hafen Hamburg Marketing sieht das ähnlich. Für den Hafen wird für 2011 ein Plus von zehn Prozent beim Container- und beim Gesamtumschlag prognostiziert.

Industrie

"Die kurzfristigen Turbulenzen an den Aktienmärkten sind nicht automatisch auch Turbulenzen der Realwirtschaft", sagte Marc März, stellvertretender Geschäftsführer des Industrieverbands Hamburg. "Erst wenn die starke Verunsicherung über Monate anhalten sollte, was sich aktuell nicht abzeichnet, hätte dies negative Auswirkungen für den Standort Hamburg." Insgesamt gehe es der Hamburger Industrie aktuell gut.

Jörg Mutschler, Geschäftsführer beim Landesverband Nord des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, verweist auf die meist lange Zeit zwischen Vertragsabschluss und Auslieferung der fertigen Produkte. Jedoch hätten sich die Zuwächse bei den Auftragseingängen schon in den vergangenen Monaten deutlich abgeflacht. Hinzu komme nun ein "politisches Vertrauensproblem". Allerdings habe die Branche in früheren Krisen gelernt, mit Konjunkturschwankungen umzugehen. "Wir suchen jedenfalls noch händeringend Nachwuchs, weil wir davon ausgehen, dass wir mit unseren Erzeugnissen auch weiter in der Welt erfolgreich sein werden", sagte Mutschler.

Tourismus

Angesichts der Turbulenzen an den Kapitalmärkten und der Verunsicherung in der Wirtschaft sieht Sascha Albertsen, Sprecher bei Hamburg Tourismus, die Gefahr, dass Reisende ausbleiben könnten - so wie die Geschäftsleute aus Großbritannien in den Jahren 2008/2009. "Wirtschaftskrisen machen sich bemerkbar, aber insgesamt ist der Tourismus in Hamburg sehr krisenfest", so Albertsen. Seit zehn Jahren verzeichne man hier Rekorde: "Keine andere europäische Metropole wächst im Tourismus so dynamisch wie Hamburg." In den ersten fünf Monaten habe die Zahl der Übernachtungen um 8,9 Prozent zugelegt. Stabilisierend im Hinblick auf mögliche Einbrüche der Weltwirtschaft wirke der hohe Anteil der Gäste aus Deutschland und Europa.

Arbeitsmarkt

Die Zahl der Arbeitslosen ist zwar in Hamburg im Juli um gut 2600 auf 74 545 gestiegen. Das Plus gilt aber als saisonüblich. Sollten sich die Turbulenzen am Finanzmarkt auf die Hamburger Firmen auswirken, erwartet Hans-Martin Rump, der stellvertretende Leiter der Hamburger Arbeitsagentur, dass die Firmen erneut auf die Kurzarbeit zurückgreifen. In der Krise erreichte die Zahl der Betroffenen im Juni 2009 mit insgesamt 15 700 ihren höchsten Wert. Zum Vergleich: Derzeit beziehen noch etwa 800 Beschäftigte in der Stadt Kurzarbeitergeld. Rump bleibt zunächst aber zuversichtlich: "Wir gehen weiter davon aus, dass im Oktober die Zahl von 70 000 Arbeitslosen unterschritten wird." Wegen des hohen Anteils der Dienstleistungsberufe würde sich eine Krise in Hamburg ohnehin weniger stark auswirken als in Süddeutschland.