Meyer-Abich fordert die Politik zum Umsteuern auf: Entweder drohen drastische Einsparungen oder “uns bricht alles über dem Kopf zusammen“

Hamburg. Steinschlag an der Nikolaikirche, ein akut sanierungsbedürftiges Congress Center, marode Straßen: Die Meldungen über den Verfall der Hamburger Infrastruktur reißen nicht ab. Der oberste Finanzkontrolleur der Stadt, Rechnungshof-Präsident Jann Meyer-Abich, hat sich jetzt in einem dramatischen Appell an die Hamburger Politiker gewandt und sie aufgefordert, dringend umzusteuern und den Sanierungsstau zügig aufzulösen.

Sollten Straßen, Schulen und öffentliche Gebäude nicht bis 2019 grundlegend saniert werden, gebe es nur zwei Alternativen: Entweder drohen drastische Einsparungen oder "uns bricht alles über dem Kopf zusammen", sagte Meyer-Abich dem Abendblatt.

Bis 2019 nämlich müssen die öffentlichen Haushalte nach neuem Verfassungsauftrag ausgeglichen sein, und dann darf nicht länger wie bisher mehr ausgegeben werden als eingenommen wird. Die immensen Sanierungskosten aber müssen bei ehrlicher Rechnung zu dem Haushalt hinzugerechnet werden. Jann Meyer-Abich spricht von einer "grauen Verschuldung". Er warnt vor einer schweren Hypothek, die den Kindern und Enkeln der heutigen Generation aufgebürdet werde. Schon jetzt habe sich etwa der Wert der Hamburger Straßen von 3,9 Milliarden auf 1,5 Milliarden Euro verringert.

Auch die Politik ist aufgeschreckt. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz fordert ein "radikales Umdenken". Niemand dürfe "so tun, als sei er vom aktuellen Sanierungsstau überrascht. Wir müssen jetzt viel von dem reparieren, was über Jahre vernachlässigt wurde", sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. "Wir dürfen für das Thema Werterhalt und Sanierung nicht erst sensibel werden, wenn es durch die Decke tropft."

Scholz kündigte die Entwicklung konkreter Modelle für die Sanierung der Infrastruktur an. So gebe es Überlegungen, ein schärferes Controlling-System einzuführen oder die Verantwortlichkeiten zwischen Eigentümer und Nutzer klarer zu regeln. Der Bürgermeister betonte, der Senat habe sofort nach dem Regierungswechsel entschieden, den Etat für Straßensanierungen zu erhöhen. Auch beim CCH werde es erhebliche Belastungen durch die nötige Sanierung geben. "Wir werden das angehen."

Wie hoch genau die notwendigen Reparaturkosten an den öffentlichen Immobilien insgesamt sind, kann aber keine Behörde genau beziffern. "Solche Zahlen liegen nicht vor", heißt es in der Finanzbehörde. Sie schätzt aber allein den Sanierungsbedarf an den Hamburger Schulen auf drei Milliarden Euro. Für Hamburgs Straßen sind Instandsetzungskosten von 2,4 Milliarden notwendig, heißt es beim Automobilklub ADAC. Und an der Hamburger Universität kalkulieren Experten mit Sanierungskosten von 800 Millionen Euro. Auch Theater wie das Thalia benötigen Millionensummen, um die Gebäude zu erhalten, rechnet der Hamburger Rechnungshof vor.

Aber auch dessen Experten kennen den genauen Finanzbedarf nicht - aus einem einfachen Grund. Viele neue Spielplätze, Parks und andere öffentliche Einrichtungen werden geplant, ohne die notwendige Unterhaltung in den Kosten zu berücksichtigen.