10.000 Menschen marschierten dieses Jahr mit bei der Parade des Christopher Street Days. Rund 100.000 feierten am Straßenrand.

Hamburg. Die Outfits der Gruppe sind farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Gerade noch hat einer von ihnen einer Passantin auf der Mönckebergstraße einen Fotoapparat in die Hand gedrückt. "Zur Erinnerung." Dann eilt er auf hochhackigen Schuhen in einer laufstegwürdigen Gangart zurück zu den anderen vier Fotomotiven, die sich bereits in Position gebracht haben. Bauch rein, Rücken gerade, Lächeln - und Klick.

Das Foto mutet nordisch-maritim an. Zwei schmal gebaute Jungs haben knappe Matrosenuniformen an, die kaum hochseetauglich sind. Daneben stehen zwei perfekte Ausgaben eines Marine-Pin-up-Girls mit kurzem Rock, roten Lippen und wilder Mähne. Ihre männlichen Gesichtszüge fallen erst auf den zweiten Blick auf. Zwischen den vieren steht klein, unauffällig, aber zufrieden lächelnd der 68 Jahre alte Karl-Heinz. In seinem weißen Hemd und mit der blau-weiß gestreiften Krawatte passt er farblich gut zum Rest der Gruppe. Sein Leben ist jedoch weit konservativer: Frau, Kinder, Stadtrand.

"Ich kenne einen aus der Gruppe und wollte mal sehen, wie der so privat unterwegs ist", sagt er und zeigt auf einen der Matrosen. Der junge Mann arbeitet bei einem Friseur um die Ecke. Und Karl-Heinz wirbt in der Fußgängerzone für einen Herrenausstatter, bei dem er vor der Rente Verkäufer war. "Wenn wir uns hier über den Weg laufen, halten wir immer einen kleinen Schnack." So sei mit der Zeit schon fast so etwas wie eine Freundschaft entstanden. "Seine sexuelle Orientierung ist mir da doch völlig egal." Schließlich sei er nett, und das allein zähle.

Die Szene ist ein perfektes Beispiel für die Situation der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen in der Hansestadt. Die Zeiten, als die Teilnehmer des Christopher Street Days noch gegen Diskriminierung, Vorurteile oder gar Gewalt gegen sich auf die Straßen gingen, sind vorbei. Das Motto "Trau dich! Zeig dich! Out ist in" kann nicht nur als Aufforderung zum Coming-out gedeutet werden, sondern auch als Trenddiagnose. Frauen suchen sich einen schwulen besten Freund. Cafés, die vor allem von einem homosexuellen und stylischen Publikum besucht werden, werden schnell auch von Heteros belagert. Und bisexuelle Experimente sorgen für interessierte Zuhörer auf jeder Party. Schwule Politiker, lesbische Moderatorinnen und transsexuelle Stadtteil-Ikonen. Out ist in, keine Frage.

Ist ein Christopher Street Day also noch nötig? "Natürlich", sagt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). "Trotz des Fortschritts gibt es noch viel zu tun." Noch immer gebe es versteckte Diskriminierung, und an der Gleichstellung müsse noch gearbeitet werden - etwa in Hinblick auf Adoption oder das Steuerrecht bei gleichgeschlechtlichen Ehen. Und weil die Szene zu Hamburg dazugehöre, sei es für ihn auch eine Selbstverständlichkeit, an dem Umzug teilzunehmen, dem sich 10 000 Menschen anschlossen und den rund 100 000 statt der erwarteten 300 000 Zuschauer am Straßenrand feierten.

Das erste Stück geht Scholz von St. Georg bis zum Bahnhof trotz Regen zu Fuß an der Spitze. Später steht er auf dem Wagen der Schwusos - also der Lesben und Schwulen in der SPD.

Auch an anderen Stellen tauchen zwischen all den Proseccoflaschen, Schlagern und feiernden Zuschauern immer wieder kritische Worte auf. "Es fehlt uns einfach ein Vorbild im Profisport", sagt Alexander von Beyme, 35, von der Freizeitfußballmannschaft BallBoys Hamburg . "Es ist gesellschaftlich eingeübt, dass das ein harter Männersport ist. Und da passt das Klischee vom zartbesaiteten Schwulen natürlich nicht rein." Dabei würden vieler seiner Teamkollegen, was Fouls angeht, den Heteros in nichts nachstehen.

Gerade im Fußball gibt es noch Nachholbedarf, was die Akzeptanz von Schwulen angeht. Einige Mitglieder der BallBoys sind trotz ihrer Leidenschaft für den Sport zum ersten Mal in einer Mannschaft. Sie haben sich nicht getraut, schon früher einem "normalen" Verein beizutreten. "Einer von uns spielt auch in der Bezirksliga und traut sich nicht, sich komplett zu outen", sagt von Beyme. Er habe Angst vor der Reaktion einiger Mitspieler. Andere sehen das offensichtlich lockerer. "Cool, mein Lehrer ist schwul", steht auf den Spruchbändern des Vereins Schwule Lehrer Hamburg.

"Ich finde es wichtig, dass wir uns outen können, denn davon profitieren nicht nur wir, sondern auch die Schüler", sagt Florian Bindner. Probleme wegen seiner Homosexualität habe er an dem Gymnasium, in dem er unterrichtet, nie gehabt. "Aber Hamburg gehört zu den Ländern, die da sehr weit sind", sagt Bindner. In ländlichen Gegenden und im Süden seien schwule Lehrer noch ein Tabuthema.

Ein Stück weiter ist Rosa das Thema. Marcel Jürgens, 38, und sein Partner tragen einen rosa-metallic-farbenen Ganzkörperanzug mit weißer Latzhose, ihre Lippen glänzen pink und dazu trinken sie Himbeer-Sahne-Likör. "Wir wollen das Motto aufgreifen und unser Inneres metaphorisch nach außen kehren", sagt Jürgens.

Daneben stehen Hetero-Freunde im Alltagsoutfit. "Wir finden es wichtig, mit einer gemischten Gruppe hierherzukommen", sagt Jürgens. Er möchte nicht, das Homo-, Bi- und Transsexuelle bei der Parade und überhaupt unter sich bleiben. "Diese Abgrenzung ist mir zu eng gefasst."

Und, sagt er, es gebe schließlich auch Schwule, die gegen Heteros hetzten. Diskriminierung in die andere Richtung. Jürgens: "Es gibt so viele Lebensformen, und alle sollten sich gegenseitig akzeptieren." Darauf nimmt er erst mal einen Schluck Himbeer-Sahne und bietet einen pinkfarbenen Schaumkuss an. Danke.