Wer seinen Urlaub nicht im Hotel verbringen will, bekommt nette Nachbarn inklusive. Egal ob auf St. Pauli, in Sasel oder Eimsbüttel.
Hamburg. Es hat etwas von der Villa Kunterbunt. Dieses Häuschen auf St. Pauli mit dem Alkovenbett und der knallgrünen Wandfarbe im Wohnzimmer. Drei Mädchen und zwei Frauen leben dort an der Paul-Roosen-Straße. Aber nur für zehn Tage. Es ist ein Zuhause auf Zeit. Statt im Hotel wohnt die Truppe aus dem Raum Mönchengladbach in einem Ferienhäuschen. Genau wie andere Urlauber, die das Abendblatt besucht hat. Auf St. Pauli, im Generalsviertel und in Sasel.
Sina, Verena und Gianna besuchen tagsüber einen Workshop an der Stage School und träumen davon, Musicalstars zu werden. Giannas Mutter Lisa, 45, und Freundin Uschi, 49, sorgen dafür, dass die Mädchen abends nach Gesangs-, Tanz- und Schauspielunterricht etwas Warmes zu essen bekommen. Während die Teenager den ganzen Tag proben und trainieren, gucken sich die Erwachsenen Hamburg an. Klar, inklusive Hafenrundfahrt und Beach-Club, im Musical "Tarzan" waren sie auch.
Warum kein Hotel? "Ich wollte etwas Gemütliches. Die Kinder sollen sich wohlfühlen und gut versorgt werden", sagt Lisa Di Lorenzo. Schließlich ist Tochter Gianna erst zwölf, ihre Freundinnen 17 und 18 Jahre alt. Zickenalarm gebe es nicht. "Wir lieben uns alle", sagt Sina. Dann kichern alle. St. Pauli, Reeperbahn, den Kiez hatten sich die fünf gefährlich vorgestellt, schmuddelig. Und nun das hier: ein kleines Häuschen im Hinterhof, liebevoll eingerichtet.
"Wir sind überrascht, dass die Menschen so entspannt sind auf St. Pauli", Lisa die Lorenzo, Urlauberin im Ferienhaus auf St. Pauli
"Voll süß und urig", wie Gianna das formuliert. Das Ferienhäuschen kostet pro Nacht 150 Euro für bis zu drei Personen. Jede weitere Person zahlt 25 Euro. Lisa Di Lorenzo kauft gegenüber im Supermarkt ein, kocht jeden Abend. Die Mädchen und Frauen fühlen sich wider Erwarten sicher. Tochter Gianna durfte auch allein in den Großstadtsupermarkt. "Wir sind überrascht, dass alles so entspannt ist auf St. Pauli." Mit den Nachbarn im Hinterhof verstehen sie sich gut. Kontakte, die in einem Hotel so nie zustande gekommen wären. Und dass es so viele Familien mit Kindern im Viertel gibt, wundert die Rheinländer. Ebenso die Freundlichkeit der Menschen, denen sie auf der Straße begegnen. "Von wegen kühle Nordlichter. Das ist totaler Quatsch! Die Leute sind so nett. Sie sprechen uns sofort an, wenn wir irgendwo stehen und nicht wissen, wo wir lang müssen", sagt Lisa Di Lorenzo. Und dann sagt die Bankkauffrau etwas, das man in Hamburg überall hört: "Wir fühlen uns hier wie auf dem Dorf, es ist gar nicht so großstädtisch. Und die Leute duzen sich alle."
Die Scharmanns aus Wiesbaden haben ihr Feriendomizil in einer ruhigeren, fast dörflichen Gegend: Für mehr als eine Woche ist das kleine Häuschen "Gartenhausvilla" in Sasel ihr Zuhause. Sie haben es über eine Vermittlungsseite im Internet gefunden und sich sofort in die Fotos verliebt. Das Wohnzimmer kommt einem Wohnbeispiel aus dem Möbelmarkt gleich. Ein großer Holztisch mit Blumen darauf, Möbel im Vintage-Look und ein Kamin. "So habe ich mir ein Ferienhaus im Norden vorgestellt", sagt Elke Scharmann, 48. "Neben der Optik war aber auch die Lage wichtig."
Denn die Scharmanns wollen Stadturlaub mit Selbstbestimmung. Strand Pauli, Planten un Blomen und das Miniaturwunderland stehen auf dem Urlaubsplan. "Dazu haben wir die Möglichkeit, auch mal im Garten zu sitzen und zu entspannen", sagt Christoph Scharmann, 47. "Man hat die Freiheit des Campens ohne die typischen Unannehmlichkeiten."
Die Scharmanns wollen keine Bettenburgen und all-inclusive
Betthochburgen, Buffet und All-inclusive-Angebote waren noch nie etwas für Familie Scharmann. "Wir wollen in Ruhe in den Tag starten, ohne zu überlegen, bis wann es Frühstück gibt", sagt Christoph Scharmann. Einmal haben sie es ausprobiert und waren auf Fuerteventura. Punkt halb sechs gab es Abendessen, die Rentner standen bereits vor der Speisesaaltür und waren später wenig erfreut über den kinderüblichen Krach der Scharmanns. Elke Scharmann deutet mit einem Nicken auf die beiden Söhne Philipp, 14, und Leo, 13, die in der Ecke sitzen und stumm auf ihren Handys herumtippen. Laut sind die Teenager heute nicht.
Gertrud und Dieter Plassmann-Lenzen aus der Eifel verbringen ihre Zeit in Hamburg auch lieber in einer schmucken Altbauvilla an der Bismarckstraße 122 in Hoheluft-West als in einem Hotel. Genau wie Familie Scharmann möchten sie die Möglichkeit haben, draußen im Garten zu sitzen. So wie jetzt an diesem Morgen. Die Ärzte im Ruhestand bleiben drei Wochen lang in ihrer Ferienwohnung im Erdgeschoss. Ihr Sohn wohnt in Eimsbüttel, und sie wollen sich ein bisschen um ihre einjährige Enkelin Paula kümmern. "Sie wird gerade in der neuen Kita eingewöhnt. Wir holen sie ab, solange ihre Eltern noch arbeiten", sagt Gertrud Plassmann-Lenzen. Meistens nehmen sie Paula mit in die Ferienwohnung. "Zu Hause hat sie nur einen Balkon, hier kann sie sich im Garten bewegen", sagt die Großmutter. Die Wohnung ihres Sohnes sei nicht groß genug, um dort drei Wochen zu verbringen. "Wir möchten denen nicht auf den Wecker gehen und machen uns lieber dünn."
Wo es Brötchen im Viertel gibt, weiß das Ärztepaar, auch Restaurants kennen sie schon. "Es ist schön, die Freiheit zu haben, sich das Frühstück selbst zu zaubern", sagt die 60-Jährige.
Nebenan in der Wohnung hat sich Fanny Riegel, 16, aus Stuttgart eingerichtet. Sie macht ein Praktikum in einer Werbeagentur und genießt ihre erste eigene Wohnung. Jedenfalls für zwei Wochen. "Ich bin ständig unterwegs. Es fühlt sich toll an, ohne Eltern zu sein." Vermieterin Stefanie von Vopelius wohnt in dem Haus und versucht, ein Auge auf den Teenager zu haben: "Das Kind ist nie zu Haus", sagt sie und lacht. (abendblatt.de)