Auf der Website RentAFriend.com können Freunde stundenweise gemietet werden. Alexander Clemenz, Pastor aus Jenfeld, ist einer von ihnen.

Hamburg. Ein guter Freund ist unbezahlbar. Heißt es. Er hat sich bewährt, in vielen Situationen. Ist nachts ins Auto gestiegen, mit einer Flasche Wein zu Besuch gekommen, um den Liebeskummer gemeinschaftlich zu ertränken. Steht später als Trauzeuge an der Seite, hilft als Babysitter aus. Das macht er, ohne Bedingungen zu stellen, ohne Geld zu nehmen. Alexander Clemenz ist ein guter Freund. Einer, mit dem man ins Kino gehen kann, der einen auf jede Party begleitet. Oder einfach zuhört. Für zehn Euro pro Nachmittag.

Seit einem Jahr bietet der 33-Jährige auf der Webseite RentAFriend.com seine Freundschaft an. Wie rund 30 Menschen in Deutschland und, nach Angaben des Betreibers, 417.000 weltweit, die einen Steckbrief auf der Plattform hochgeladen haben. Ihnen stehen 4000 Mitglieder gegenüber, die bereit sind, für einen Kameraden einen Betrag von 24 Dollar zu zahlen. So viel kostet eine Mitgliedschaft, anschließend können die Profile der potenziellen Freunde eingesehen und per E-Mail oder Telefon kontaktiert werden. Freundschaft als Dienstleistung, ein durchaus gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Der Amerikaner Scott Rosenbaum jedoch, der die virtuelle Freundschaftskartei 2009 gründete, sieht das Ganze als eine praktische Hilfe - für Zugezogene in eine Stadt oder für Geschäftsleute auf Reisen, die nicht allein zu Abend essen wollen. "Wir sind eine rein platonische Freundschaftsseite. Kein Datingportal und kein Escort-Service" ist online zu lesen. Nur ein verbindendes Element gebe es: die Bezahlung.

Durch einen Zeitungsartikel über RentAFriend wurde Alexander Clemenz aufmerksam. Aus Neugierde meldete er sich an - und aus reinem Selbstzweck. "Ich zog damals aus Marburg nach Hamburg, kannte hier kaum Leute", sagt er. Als Pastor arbeitet der verheiratete Vater von zwei Töchtern in einer freien evangelischen Gemeinde in Jenfeld. Sein Beruf bringe es mit sich, offen zu sein, mit Fremden wie mit Freunden zu sprechen. Sich auf verschiedene Charaktere einzustellen. "Es gibt genug Menschen, die einsam sind." Er trifft sie täglich, in der Gemeinde, auf der Straße. Und im Internet? Bisher, sagt er, habe ihn niemand auf seine Anzeige hin angeschrieben. Der finanzielle Aspekt ist es wohl, der abschreckt.

Anders verhält sich das in den USA, in England oder in Japan. "Dort ist die Kultur des simplen Smalltalks verbreiteter. Die Erwartungen an eine Bekanntschaft vielleicht dementsprechend geringer", erklärt sich Clemenz die Abweichung. Ihn selbst plagen keine moralischen Bedenken, dass er sich und seine Freundschaft verkauft. "Das Geld ist mir überhaupt nicht wichtig, darauf würde ich auch verzichten. Ich verstehe das als eine rein platonische Kontaktmöglichkeit, ähnlich wie bei anderen Online-Plattformen." Mit dem Unterschied, dass sich dem virtuellen Erstkontakt ein reales Treffen anschließen soll. Interessant wäre eine solche Begegnung, davon ist Alexander Clemenz überzeugt. "Ich habe es als Student geliebt, per Mitfahrzentrale mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu kommen." Weil es sein Beruf ist, weil er gern erzählt, wie er sagt. Aber noch lieber zuhört. Und das gehe nach wie vor am besten von Angesicht zu Angesicht. "Das Internet kann nur ein Anfang sein. Für eine richtige Freundschaft muss man sich im Leben treffen."

Ähnlich sieht es der Hamburger Psychologe Michael Thiel. "Netzwerke wie Facebook können Freundschaften vorbereiten, aber niemals das gemeinsame Tun ersetzen", sagt er. Nur durch das Erlebte, im Idealfall viele Jahre hindurch, lernt man sich kennen, vertraut einander. Wird zu echten Freunden.

Das ist keine neue Erkenntnis. Schließlich wusste bereits Aristoteles: "Alle Menschen brauchen Freunde." Bis heute hat sich daran nichts geändert. Im Gegenteil. Besonders in Zeiten von hohen Scheidungsquoten und stetig schrumpfender Familiengröße wächst das Bedürfnis nach sozialer Stabilität.

"Freundschaften", sagt Psychologe Thiel, "werden zunehmend wichtiger." Gleichzeitig allerdings seien die sozialen Bindungen so komplex wie nie. Das Leben ist unstet geworden. "Die Menschen müssen im Job flexibel sein, oft für den Beruf umziehen. Dadurch ist es kaum möglich, Freundschaften zu pflegen", erklärt Michael Thiel. Insbesondere in Großstädten wie Hamburg oder Berlin sei Einsamkeit weit verbreitet. Selbst bei Menschen, die via Facebook 200 Freunde zählen. Die elektronisch vermittelte Nähe wirkt sich bisweilen sogar negativ aus - weil der Freund nicht greifbar ist. "Ich habe einige Patienten, die sich allein fühlen", sagt Thiel. "Das kann langfristig Depressionen zur Folge haben, im schlimmsten Fall sogar zum Suizid führen, weil sie den Eindruck haben, es kümmere doch niemanden, ob sie existieren oder nicht. Wirkliche Freundschaften können da über Krisen hinweghelfen."

Zugezogenen Hamburgern rät der Psychologe den klassischen Weg: sich je nach Leidenschaft im Verein anmelden, sich sozial oder politisch engagieren - oder Angebote wie den "Frühstückstreff" in Anspruch nehmen. Jeden Sonntag versammeln sich dort wechselnde Menschen an wechselnden Orten. In der Hansestadt finden die morgendlichen Tafelrunden etwa in der Rösterei an der Mönckebergstraße oder im Café Prinzess in Ohlsdorf statt. Zwanglos soll man sich kennenlernen, zwischen Brötchen und Milchkaffee die ersten Kontakte knüpfen.

Alexander Clemenz ist mittlerweile in Hamburg angekommen. Der Pastor hat hier ein paar gute Freunde gefunden. Nicht im Internet, sondern in seiner Gemeinde. Ganz kostenlos. Aber nicht umsonst.