Andree Böhling, 38, ist Experte für erneuerbare Energien bei der Umweltorganisation Greenpeace

Hamburger Abendblatt:

1. Die Bahn kauft für 1,3 Milliarden Euro Strom aus Wasserkraft bei RWE. Ist das ein neues ökologisches Engagement? Oder springt das Unternehmen nur auf die Ökowelle auf?

Andree Böhling:

Wir gehen von Letzterem aus. Denn die Bahn ist beim Thema Öko-Energie kein Vorreiter. Sie reagiert erst auf externe Ereignisse wie das von der Regierung beschlossene Aus für das Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 nach der Katastrophe von Fukushima. Die Bahn steht aber auch von den Kunden unter Druck. Sie interessieren sich immer häufiger dafür, woher sie Strom bezieht und ob nicht mehr erneuerbare Energien eingesetzt werden können.

2. Aus welchen Anlagen stammt der RWE-Strom?

Böhling:

Er kommt aus Deutschland. Allerdings von Anlagen, die zum Teil schon sehr alt sind, einige haben Jahrzehnte auf dem Buckel. Von den 766 Megawatt, die RWE über Wasserkraftwerke erzeugt, ist künftig ein Siebtel bis 2028 an die Bahn gebunden. Es entstehen aber keine neuen Kapazitäten bei den Wasserkraftwerken. Allenfalls wird RWE in Folge des Auftrags mehr in Öko-Energien investieren.

3. Welches Potenzial besteht bei Wasserkraft in Deutschland?

Böhling:

Das Potenzial halten wir für weitgehend ausgeschöpft. Investitionen müssten viel eher in die Windkraft gehen. Auch die Bahn kann dabei direkt agieren, weil sie sich ja an Kraftwerken und Energieanlagen beteiligt. Dass man aber an den Anteilen des Atomkraftwerks Neckarwestheim 2 bis 2022 festhalten und sich am geplanten Kohlekraftwerk Datteln 4 beteiligen will, macht deutlich: Von einer konsequenten Energiewende ist die Bahn weit entfernt. Es kann nicht sein, den Atomausstieg gleich mit einem Einstieg in ein Kohlekraftwerk zu verbinden.

4. Wie ökologisch ist der Bahnverkehr insgesamt?

Böhling:

Natürlich ist der Transport von Personen und Gütern auf der Schiene umweltfreundlicher als der per Flugzeug oder Lkw. Solange aber fast 50 Prozent des Stroms bei der Bahn über Stein- und Braunkohle und wohl künftig noch 14 Prozent über Atomstrom erzeugt wird, stimmt der Energiemix nicht. Die Bahn müsste den Entscheidungen der Regierung vorausgehen. So wie die Schweizer Bahn, die seit der Reaktorkatastrophe in Japan keinen Atomstrom mehr beziehen will.

5. Ist zu erwarten, dass die Fahrpreise durch den neuen Strom aus Wasserkraft teurer werden?

Böhling:

Nein, auf keinen Fall. Es wird allenfalls minimale Preiseffekte geben, weil der Strompreis für deutlich weniger als zehn Prozent der Fahrkosten der Bahn steht. Wasserkraftanlagen produzieren Strom sehr günstig.