Der Hamburger Triathlon lockt Hunderttausende Zuschauer in die Innenstadt. Am Wochenende starten wieder 10 000 Sportler

Hamburg. Als Hans-Jürgen Schulke vor elf Jahren Direktor des Hamburger Sportamts wurde - er blieb es bis 2005 -, gaben ihm seine neuen Kollegen einen Rat: "Lassen Sie die Hände weg vom Triathlon. Sie haben alle gegen sich. Die Widerstände in den Behörden und in der Stadt sind zu groß." Zweimal waren in den Jahren zuvor Versuche gescheitert, den Dreikampf aus Schwimmen, Radfahren und Laufen in die Innenstadt zu bringen. Sportsoziologe Schulke ließ sich dennoch nicht beirren. Die damalige Olympiabewerbung und das innovative Konzept der Agentur Upsolut halfen ihm. Sie ließen die Bedenken vieler im Rathaus plötzlich kleinmütig erscheinen.

Heute ist der Hamburger Triathlon Teil einer WM-Serie. An diesem Wochenende wird er zum zehnten Mal ausgetragen. Die besten Athleten aus fünf Kontinenten haben wieder gemeldet - und fast 10 000 Freizeitsportler. Hunderttausende werden sie an der Strecke anfeuern. "Hamburg ist für uns alle der Höhepunkt der Saison, ein absolut geiles Event", sagt Olympiasieger Jan Frodeno, 29, aus Saarbrücken.

Sport in der City, die gefühlte greifbare Nähe zum Ereignis und ihrer Darsteller, macht ihn zu einem intensiven emotionalen Ereignis. Alles Trennende scheint trotz der Absperrungen verschwunden. Der Zuschauer ist beim Triathlon Teil der Inszenierung, die Massen um ihn herum und deren Begeisterungsfähigkeit wirken anziehend auf ihn. Soziologen sprechen von einer "Gefühlsansteckung". Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti (1905-1994) hat in seinem Hauptwerk "Masse und Macht" den Menschen von Natur aus als unsoziales Wesen beschrieben: "Steht er im Aufzug, drängt er sich in die Ecke, um sich dem körperlichen Kontakt zu entziehen." Nur in der Masse verliere der Mensch seine Berührungsangst. Der Verlust jeder Individualität werde sogar als befreiend empfunden, man sei nicht mehr allein einer undurchschaubaren Welt ausgesetzt.

Sport findet Stadt. Das scheint die Lösung. Das Konzept hat sich durchgesetzt. Die Rückkehr der Wettkämpfe in die City hat Bewegung in herkömmliche Sportstrukturen gebracht - und Hamburg hat es vorgemacht. Marathon, Triathlon und Cyclassics, Veranstaltungen für Spitzensportler, Jedermänner und zum Teil Schüler im urbanen Ballungsraum sind zu Exportschlagern geworden. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking sprachen Funktionäre der Weltverbände mit Hochachtung vom "Hamburger Modell".

Den Trend haben Hamburgs Politik und Verwaltung inzwischen akzeptiert. Genehmigungshürden wurden abgebaut, Werbeverbote an Alster und Rathausmarkt gelockert, Kaufleute und Kritiker überzeugt. Als 2007 die Innenstadt gleich an mehreren Wochenenden hintereinander nicht zugänglich war, steigerte sich die Aufregung über mehrtägige Straßensperrungen noch in Wut.

Heute sind die Termine entzerrt. "Das war der entscheidende Schritt, um die Akzeptanz der Händler zu erhöhen", sagt City-Managerin Brigitte Engler. Nicht die Zahl der Veranstaltungen sei entscheidend, sondern deren Abfolge. Sport in der City locke eine andere Kundschaft in die Innenstadt: Touristen und Sportinteressierte. Notorische Autofahrer blieben zu Hause. Der Verkauf von Sportzubehör steige an diesen Tagen, der anderer Produkte sinke. "Das gleicht sich ein Wochenende später wieder aus", sagt Engler, "wenn dann erneut eine Sportveranstaltung stattfindet, entsteht aber ein Problem. Ein Teil der Kundschaft wandert ab."

Die vorübergehende Vertreibung des Sports aus dem Zentrum hatte in Hamburg nach dem Ersten Weltkrieg eingesetzt, als Spiel- und Sportstätten in die Peripherie verschwanden und die Innenstadt für Handel und Industrie geräumt wurde. "Sport in der City bedient die Sehnsüchte vieler Menschen, um sich mit ihrer Stadt identifizieren zu können", sagt Soziologe Schulke. Auch der Sport erhalte in der fremden Umgebung ein neues Gesicht. "Er wird nicht mehr in speziellen Funktionsräumen wie einem Stadion präsentiert, sondern greift die innerstädtische Architektur als Kulisse einer modernen Arena auf. Das macht ihn einmalig." Die wirtschaftlichen Argumente fallen nicht minder gewichtig aus. Veranstaltungen sind das Lebenselixier des Tourismus. Und Sport lockt Menschen nach Hamburg. "Qualitativ hochwertige Events beleben die Stadt. Sie machen Hamburg attraktiver. Handel, Hotels und Gastronomie profitieren davon", sagt Engler.