Die Grundschule Schierenberg in Rahlstedt wurde sich selbst überlassen. Die Nachbarn sind wütend - und besorgt

Rahlstedt. Blaue, gelbe und rote Plastikkugeln auf grauem Linoleumboden. Doch es ist kein harmloses Spielzeug, das hier auf dem Flur der ehemaligen Grundschule Schierenberg zu sehen ist. Jugendliche streiften durch die Klassenräume und verschossen die bunte Kugelmunition mit ihren Softair-Pistolen. Scheiben barsten, Scherben fielen klirrend zu Boden, und gehetzte Schritte hallten durch das Treppenhaus. Diese Abenteuertour von Pubertierenden ist typisch für das, was in den Räumen der Schule in den vergangenen Jahren geschah. Es ist der Hamburger Beweis der "Broken-Windows-Theorie". Sie besagt: Ein einziges zerbrochenes Fenster in einem leer stehenden Haus führt rasch zu völliger Verwahrlosung und Zerstörung. Mitten in Rahlstedt, direkt neben dem Gymnasium Meiendorf. Weil keine Behörde sich zuständig fühlte.

Vor gut fünf Jahren wurde die Grundschule Schierenberg geschlossen. Die Zahl der Anmeldungen war der Schulbehörde zu gering. Dies war Teil des Schulentwicklungsplans, der auch das Aus für zehn weitere Schulen vorsah. Der damalige Senat wollte Betriebs- und Personalkosten sparen und die Immobilien verkaufen. Allerdings wurde die Grundschule Schierenberg, bei der kurz vor der Schließung noch das Dach saniert worden war, zum Ladenhüter. Grundstück und Gebäude wurden sich selbst überlassen - eine Einladung zu Vandalismus und Diebstahl.

Nun das Umdenken: Ein Teil der mittlerweile unbrauchbaren Räume soll bald vom Gymnasium Meiendorf genutzt werden, das seine Schüler wegen Platznot ab kommendem Schuljahr zum Teil in Containern unterrichten muss. Hintergrund ist die Schulreform, die kleinere Klassenfrequenzen vorschreibt. Um die Räume wieder herzurichten, kommen auf die Stadt allerdings Sanierungskosten in Höhe von 4,5 Millionen Euro zu.

Anwohner Oliver von Appen, 33, wurde vor wenigen Wochen Augenzeuge der Vorgänge auf dem Gelände nebenan: Er schloss gerade sein Garagentor, als er zwischen dem Rauschen der Bäume Gesprächsfetzen und zu Bruch gehende Scheiben hörte. Trotz des dichten Grüns zwischen Schule und Wohnsiedlung sieht er durch die Fensterscheiben der Schule drei Jugendliche. Sofort greift er nach seinem Mobiltelefon und ruft die Polizei. "Das war die Chance, endlich mal welche von denen auf frischer Tat zu ertappen", sagt von Appen. Denn randaliert werde auf dem Gelände seit Jahren. An dem besagten Mittag zündeten die Jugendlichen auch Feuerwerkskörper in dem Gebäude, sagt von Appen. Die Polizei forderte den Zeugen am Telefon auf, die Vorgänge weiter zu beobachten und sich möglichst genau das Aussehen der Bande einzuprägen - für den Fall, dass sie zu spät kommen sollte. Von Appen stieg dafür über den Zaun. Im selben Moment seien die Jugendlichen aus dem Gebäude gekommen. "Das war eine äußerst unangenehme Situation", sagt er. Der Anwohner verhinderte die Flucht der Gruppe, die wenig später von der Polizei abgeführt wurde.

Die offizielle Lageeinschätzung der Polizei hört sich allerdings ganz anders an. "Es gibt keine Beschwerdelage in Hinblick auf Schießübungen oder Vandalismus", sagt Holger Vehren, Pressesprecher der Polizei Hamburg.

Entgangen ist der Polizei die Lage vor Ort aber nicht. Schließlich trainiert die Hundestaffel regelmäßig auf dem Gelände. Und auf dem Areal sind die Spuren der Randale schon auf den ersten Blick anzusehen: Die Gebäudefassaden sind vollgesprüht, einige Fenster und Türen wurden provisorisch mit Holzspanplatten verschlossen, und manche Fenster bestehen nur noch aus Splittern. "Die Polizei ist ja nicht immer für alles zuständig", sagt Vehren dazu. Auch sonst scheint sich niemand in der Verantwortung zu sehen. Ex-Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU), unter deren Ägide die Schule geschlossen worden war, verweist auf den Bezirk. Der sieht sich ebenso wenig zuständig wie die Schulbehörde und die Finanzbehörde.

Viele Anwohner beunruhigt die Entwicklung der vergangenen Jahre. Thomas Westphal, 45: "An manchen Abenden fühle ich mich durch enorme Lautstärke belästigt, wenn Jugendliche auf dem Gelände Marihuana rauchen und trinken." Rainer Fraikin, 73, fühlt sich unsicher. "Es ist ein Trauerspiel, was da abläuft. Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher und wundern uns, dass die Stadt so etwas zulässt", sagt er. Dabei würde sich das Gelände doch weitaus besser nutzen lassen, etwa für den Wohnungsbau. Oliver von Appen ärgert die ganze Sache auch als Steuerzahler. "Da wird schon wieder so viel Geld verschwendet", sagt er. "Hätte sich gleich jemand gekümmert, wäre der Schaden jetzt nicht so hoch."