Frank Weichman, Neffe des Altbürgermeisters, hat ein Buch über die Zeit geschrieben, als ihn Holländer vor den Nazis versteckten

Hamburg. Auf der Krawatte von Frank Weichman tanzen Zahlen dicht an dicht. Zahlen wurden sein Leben, nachdem er dem Inferno des Massenmordes an den europäischen Juden knapp entkommen war. Er sitzt auf einer Couch im Baseler Hof und sagt freundlich: "Ich konnte sie mir einfach besser merken als Namen und anderes." Professor Weichman, 80 Jahre alt, lehrte an der Universität im kanadischen Edmonton. Er ist der Sohn von Margot, der Schwester des früheren Hamburger Bürgermeisters Herbert Weichmann, die nach der Flucht vor den Nazis im besetzten Holland Ende 1942 verhaftet, deportiert und ermordet wurde. Genau wie sein Vater Bernard Aron, der der Verhaftung entkam und sich den Schergen stellte, um seine Frau nicht alleinzulassen. Frank überlebte, weil seine Mutter aussagte, er sei ein Kind, das seine Eltern verloren habe. Ein holländisches Ehepaar versteckte ihn - der Mann war Schuhmacher, die Frau half in einem Schneidergeschäft.

In Hamburg stellt Weichman heute bei einem Senatsempfang im Rathaus seine Erinnerungen vor: "Überlebenswege" - ein knappes Bändchen, schnörkellos geschrieben, Bilanz eines exemplarischen Lebens. "Ich habe es für meine Kinder aufgeschrieben. Die sollten alles wissen." Sachlich, ohne große Emotionen. Geredet hat er fast nie über die bittere Vergangenheit.

Was ist aus den drei schrecklichen Jahren geblieben? Es ist keine Anklage, wenn er über seine Retter spricht: "Sie haben mich anständig behandelt, aber sie haben mich nicht geliebt. Das spürt man." Frank Weichman redet behutsam, mit Pausen, in denen er nach passenden deutschen Wörtern sucht. Er analysiert: "Was bleibt von dem Schrecken? Man verliert etwas und will dann nie mehr etwas stark lieben, weil man immer fürchtet: Es wird einem wieder weggenommen. Ich glaube, das existiert noch ein bisschen bei mir."

Nach einer Zeit in einem holländischen Heim für elternlose Kinder holten ihn sein Onkel Herbert Weichmann und dessen Frau Elsbeth 1946 nach New York. "Sie hatten selbst keine Kinder, sie wurden meine Eltern." Wie hat er sie genannt? "Vater und Mutter." Pause. "Das war erst schwer, aber man gewöhnt sich daran." In der Highschool war er Bester in Mathematik, auf dem Brooklyn College belegte er Physik und wollte "Atomingenieur" werden.

1948 ging er mit den Weichmanns zurück nach Hamburg, "eine Trümmerstadt, immer noch". Er erinnert sich an die Wohnung in der Hagenau 75 bei der Wandsbeker Chaussee, die Max Brauer seinem künftigen Rechnungshofpräsidenten stellen ließ. Und an das eindrucksvolle schwarze Mercedes-Cabriolet der Fahrbereitschaft, mit dem Weichmann kutschiert wurde. Die Beziehungen Weichmanns halfen ihm, einen Studienplatz zu bekommen. Aber in Hamburg wollte er bald nicht mehr bleiben - "ich hatte das Gefühl, was ich auch erreichen würde, es wäre nur gewesen, weil Herbert irgendwie dran gedreht hatte". Und dann, leise und prägnant: "In mir selbst war immer noch ausreichend Hass auf die Deutschen aus den Kriegsjahren in Holland aufgestaut, dass ich den Gedanken, in Deutschland zu leben, nicht ertrug."

Er geht zurück in die USA, streicht das zweite "n" im neuen Nachnamen, studiert Physik, promoviert. Nach dem Schock über die Sputnik-Erfolge der Russen sucht man händeringend Physiker. 1959 geht er nach Edmonton in Kanada, wo er noch heute lebt.

Das Rathaus kennt er gut - er hat den Onkel, den er Vater nannte, später fast jedes Jahr besucht, in dessen Amtszimmer, hat auf der Galerie der Bürgerschaft den Debatten zugehört, hat ihn bewundert: "Als Bürgermeister hat Herbert noch schärfer geurteilt", sagt er und korrigiert seine Wortwahl gleich: "Ich meine: klug und klar." Nach dem Tod von Elsbeth Weichmann hat Frank seinen Erbanteil der Herbert-und-Elsbeth-Weichmann-Stiftung überlassen. Auch darüber hat er selten geredet, er ist kein Mann großer Worte, und es braucht viele Fragen, um zu erfahren, was die Jahre der Verfolgung in der Seele angerichtet haben. Zu erfahren, wie grausames Schicksal und großes Glück sich im selben Leben arrangieren, das macht seine Erinnerungen wichtig.

Frank Ludwig Weichman: Überlebenswege - Erinnerungen. Herbert-und-Elsbeth-Weichmann-Stiftung, 224 S., 15 Euro