Der gescheiterte Verkauf von Blohm + Voss setzt den jahrzehntelangen Niedergang der Hamburger Werften fort. China ist längst vorbeigezogen.

Hamburg. Der Rückschlag wiegt schwer: Verschämt gab der Düsseldorfer Industriekonzern ThyssenKrupp vergangene Woche bekannt, dass nach rund eindreiviertel Jahren die Verkaufsverhandlungen für Blohm + Voss mit der arabischen Werftgruppe Abu Dhabi Mar gescheitert seien. Für die städtische Werftbranche bedeutet das nichts Gutes, so viel oder auch so wenig ist absehbar. Den Bau von Militärschiffen bei Blohm + Voss, Deutschlands renommiertester und Hamburgs letzter Großwerft, will ThyssenKrupp in eigener Regie fortsetzen, den zivilen Schiffbau - vor allem Großyachten sowie den Reparaturbetrieb - jedoch weiterhin veräußern. Aber an wen?

Die politischen Umstürze in verschiedenen arabischen Staaten wurden von ThyssenKrupp als ein Grund dafür genannt, dass das Geschäft mit Abu Dhabi Mar platzte. Gerade in Nordafrika und Arabien hätte das Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten neue Kunden für Marine- und Zivilschiffe von Blohm + Voss finden sollen, so lautete die ursprüngliche Logik der Verkaufsverhandlungen. "Die politische Großwetterlage in Arabien erscheint mir als ein vorgeschobenes Argument. Die Gespräche zwischen ThyssenKrupp und Abu Dhabi Mar hatten schon vorher Schlagseite", sagte ein Insider des Hamburger Schiffbaus dem Abendblatt. "Blohm + Voss ist mit heutzutage rund 1900 Mitarbeitern überdimensioniert. Und mit den Großyachten fuhr das Unternehmen zuletzt hohe Verluste ein. Unter der Regie von ThyssenKrupp hat die Werft in den vergangenen Jahren sehr viel Zeit verloren, um die Standards des modernen Schiffbaus einzuführen."

Nun droht ein weiterer Abstieg, denn neben Blohm + Voss kämpft auch Deutschlands älteste Werft Sietas in Neuenfelde seit Jahren um Zukunftsperspektiven. Dabei gehörte Hamburg noch in den 50er Jahren zu den größten Schiffbaustandorten weltweit. So bauten zum Ende jenes Jahrzehntes in der Hansestadt allein fünf Werften Seeschiffe: Blohm + Voss, die Deutsche Werft, Stülcken, Schlieker und die Howaldtswerke. Hinzu kamen 50 kleine und mittlere Betriebe im Schiff- und Bootsbau sowie in der Reparatur. 1953 und 1954 entstanden bei Howaldt in Hamburg die beiden Supertanker "Tina Onassis" und "Al-Malik Saud Al-Awal". Sie waren mit jeweils knapp 50 000 Tonnen Tragfähigkeit die größten Frachter ihrer Zeit. Allein den Stapellauf der "Tina Onassis" erlebten im Jahr 1953 rund 25 000 Menschen mit.

Die größte Anzahl von Mitarbeitern nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte die Branche 1957, als im Hamburger Schiffbau 35 000 Menschen beschäftigt waren. Damals lag Deutschland nach der produzierten Tonnage mit einem Marktanteil von 14 Prozent weltweit auf Platz drei hinter Japan und Großbritannien.1958 lieferten die Hamburger Werften allein 75 Seeschiffe ab. Die gesamte deutsche Branche stellte 2010 gerade noch 49 Schiffe fertig.

"Der Aufstieg in den 50er Jahren waren kometenhaft und wurde vom Nachholbedarf bei der Tonnage nach Kriegsende und von den niedrigen deutschen Lohnkosten beflügelt", sagt Klaus-Peter Kiedel, der Leiter des Archivs im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Doch mit der Werftenkrise setzte dann Anfang der 60er Jahre die Ernüchterung ein.

So brach 1962 die Schlieker-Werft zusammen, für die 1960 in Hamburg noch rund 4000 Menschen gearbeitet hatten. Das Gelände übernahm Blohm + Voss. Auch die Stülcken-Werft ging 1966 in Blohm + Voss auf. Die Anlagen wurden abgebaut. Heute steht auf dem ehemaligen Werft-Gelände das Theater für den "König der Löwen".

Ende 1968 folgte der Zusammenschluss der Werften Howaldtswerke Hamburg und Deutsche Werft mit den Kieler Howaldtswerken zur Howaldtswerke-Deutsche Werft AG. Der Schiffbau bei der Deutschen Werft in Finkenwerder wurde 1973 eingestellt und bis 1985 wurden die beiden Hamburger Betriebe von HDW geschlossen. Nach den Ölkrisen fehlten erneut Aufträge. Die Japaner beherrschten den Markt. Der Siegeszug der Koreaner, gestützt auf günstige Lohnkosten und die Unterstützung ihres Staates, bahnte sich an.

Mittlerweile steht China an der Spitze des weltweiten Schiffbaus. Zusammen kommen Japan, Korea und China auf einen Weltmarktanteil von mehr als 90 Prozent. Im Vergleich zum Ende der 50er Jahre, als die deutschen Werften ihre Erfolge feierten, stieg die Fertigung von 8,8 auf 96 Millionen BRZ (Bruttoraumzahl) an, allein 36 Millionen BRZ fertigte im vergangenen Jahr China. Als Nummer fünf hinter den Philippinen trägt Deutschland noch einen Anteil von 0,9 Prozent bei.

Mehrere Hunderttausend Menschen arbeiten weltweit auf den Werften, in Deutschland sind es noch rund 21 000. In Hamburg waren es Ende 2010 noch knapp 2400 bei Blohm + Voss und Sietas, zudem 320, die bei Blohm + Voss Industries Schiffbau-Komponenten fertigen. "Die Hamburger Werften haben die nötige Modernisierung viel zu lange verschleppt", sagte der Branchenkenner. "Und die Probleme, die eine Großwerft wie Blohm + Voss heutzutage hat, können offenbar nicht einmal kapitalstarke Investoren aus Arabien stemmen."