Der Nabu-Vorsitzende Alexander Porschke fordert den Hamburger Senat auf, Projekte zur Emissions-Verringerung zu benennen. Eine Bilanz.

Hamburg. Nach 100 Tagen SPD-Senat zieht der frühere GAL-Umweltsenator Alexander Porschke, mittlerweile Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Hamburg, eine erste Bilanz über die Umweltpolitik.

Abendblatt: Wie bewerten Sie 100 Tage SPD-Umweltpolitik, Herr Porschke?
Alexander Porschke: Umweltpolitik ist für die SPD erkennbar ein Auswärtsspiel. Ein Feld, in dem sie im Gegensatz zu früheren Zeiten erst wieder Fuß fassen muss und bei dem sie deswegen zurzeit noch viele Fehler macht.

Will die SPD dort überhaupt Fuß fassen?
Porschke: Der Wahlkampf der SPD war auf Rot-Grün ausgerichtet. Die Umweltthemen sollten dabei den Grünen überlassen bleiben. Was ich nicht mal für ein abwegiges Wahlkampfkonzept halte. Nun ist der Wahlkampf aber vorbei, und die SPD-Alleinregierung muss den Bereich Umwelt in ihren Verantwortungsbereich voll integrieren. Das ist nicht damit getan, dass man in der Regierungserklärung sagt, man will Hamburg als Umwelthauptstadt etablieren, und Dialoge anbietet, wo über Konflikte zwischen Wohnungsbau, Naturschutz und Klimaschutz mit allen Beteiligten gesprochen wird.

+++ Dossier: Hamburg ist die Umwelthauptstadt 2011 +++

Konkretes zur Umweltpolitik steht ja nicht im Regierungsprogramm ...
Porschke: Nein, da ist das alles sehr allgemein gehalten. Es gibt bestimmte Zusagen und Versprechen. Die SPD hat sich ja auch zu dem 40-Prozent-Minderungsziel für den CO2-Ausstoß bekannt. Aber damit ist es nicht getan. Es geht darum, was tatsächlich gemacht werden soll, um dieses Ziel zu erreichen.

Wird Hamburg dem Titel Umwelthauptstadt gerecht?
Porschke: Unter uns Umweltschützern gab es von Anfang an große Zweifel, inwieweit eine Stadt wie Hamburg diesen Titel verdient. Wir hatten allerdings keine Zweifel daran, dass das Auswahlverfahren korrekt war. Insofern haben wir den Titel so bewertet: 'Unter den Blinden ist der Einäugige König.' Tatsächlich hat Hamburg den ersten Platz aber mit einer Bewerbung bekommen, in der massiv falsche Angaben zu den erreichten Klimaschutzfortschritten enthalten waren. Das ist vom statistischen Landesamt im vergangenen Juli korrigiert worden. Eine Minderung der Emission gegenüber 1990 von 22 Prozent war in den Unterlagen enthalten. In Wirklichkeit waren gerade einmal 15 Prozent erreicht. Das ist der Unterschied zwischen Spitzengruppe und bestenfalls Mittelfeld. Ein Fehler, den ich niemandem vorwerfen würde, weil es ein Rechenfehler der Stadt ist. Umso wichtiger ist es, zumindest die Versprechen für die Zukunft einzuhalten.

Und wie sieht es dort aus?
Porschke: An großen Projekten ragen der Bau der Stadtbahn, die Prüfung der Umweltzone, der Citymaut heraus, die in der Bewerbung mit angegeben wurden. Die sollten ja nicht aus Jux und Tollerei eingeführt werden. Gerade der Versuch, den Verkehr umweltfreundlicher zu machen, hat gute Gründe: Einer davon sind die europäischen Luftreinhaltevorschriften, also europäisches Recht. Die Weltgesundheitsorganisation ist sogar auf die EU-Kommission zugekommen und hat bemängelt, dass die Grenzwerte noch zu hoch sind. Aber noch nicht einmal diese hohen Grenzwerte werden hier eingehalten. Das ist ein Rechtsverstoß gegen europäische Umweltpolitik. Das gehört sich für eine europäische Umwelthauptstadt auch gar nicht.

Ist Europa zu hart?
Porschke : Nein, diese Grenzwerte sind alle mit langen Übergangsfristen versehen worden. Keiner der Staaten soll sagen, sie hätten das nicht gewusst. Wenn nach fünf oder zehn Jahren die Frist abläuft, tun alle so, als hätten sie erst gestern den Hinweis bekommen. Deswegen kann man nicht sagen, dass die Kommission zu streng ist.

Wie kann Hamburg die Grenzwerte einhalten?
Porschke: Es ist nicht einfach, die Emissionen aus dem Verkehr zu mindern. Wenn man wie Olaf Scholz aber alle denkbaren Instrumente wegwirft - Umweltzone, Citymaut und den Anreiz, mithilfe der Stadtbahn auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen -, muss die SPD jetzt auf den Tisch legen, was geschehen soll, damit man diese Vorschriften einhält.

Statt der Stadtbahn will Olaf Scholz das modernste Bussystem Europas in Hamburg installieren. Was halten Sie davon?
Porschke : Man kann das machen. Voraussetzung ist eine eigene Spur für die Busse. Aber ein modernes Bussystem auf einer eigenen Spur wird auf lange Sicht teurer als eine Stadtbahn.

Was muss der Senat künftig anders machen?
Porschke: Zuerst das Positive: Gut gemacht hat der Senat die Erweiterung des Naturschutzgebiets Reit. Doch damit ist dem Erhalt der Artenvielfalt in Hamburg noch lange nicht Genüge getan. Es fehlt beispielsweise nach wie vor die Stärkung des Naturschutzes in den Bezirken, die die SPD bereits vor der Wahl 2008 in Aussicht gestellt hat. Auch muss der Senat dringend etwas für eine bessere Pflege der Naturschutzgebiete unternehmen.

Generell muss die SPD verstehen: Sie ist nicht mehr nur Wahlkampfpartei, sondern hat die Stadt zu regieren. Sie muss dafür sorgen, dass die Umwelthauptstadt sich nicht vor der EU-Kommission und den übrigen Staaten Europas blamiert. Sie muss deshalb mindestens europäisches Umweltrecht einhalten. Wie sie das machen will, nachdem sie die Instrumente, die wirksam hätten sein können, abgeschafft haben und die Versuche zur Bewusstseinsänderung durch die autofreien Sonntage auch noch abgeschafft hat, das ist mir ein echtes Rätsel.