Teil 8: Osteopathie Tasten, Fühlen, Drücken, Kneten: Kaum ein Naturheilverfahren ist in Deutschland umstrittener. Andere Länder sind da längst viel weiter

Seit mehr als zwei Jahren quälen Michael Henkel Schmerzen im Oberbauch, 24 Stunden am Tag. "Ich habe alles abklären lassen, sogar mit einer Herzkathether-Untersuchung. Es wurde nichts gefunden, was die Schmerzen erklären könnte", sagt der 50-Jährige. Auch ein vierwöchiger Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik brachte nichts. Die Schmerzen blieben. Nun liegt der Pinneberger auf der Behandlungsliege von Michael Kaufmann. Der Osteopath steht über seinen Klienten gebeugt und drückt sanft auf Henkels Bauch. "Zu sehen ist da nicht viel", sagt Kaufmann, "ich löse mit meinen Händen die Spannung in dem Bereich, um zu fühlen, was dort los ist." Fehlanzeige. Kurz darauf checkt Kaufmann die Verbindungen zwischen der Brustwirbelsäule und den Rippen - eine Technik aus der Chiropraktik. Wieder nichts, aber Kaufmann hat eine Vermutung und bittet seinen Klienten in die sitzende Position. Der Osteopath greift von hinten in die rechte Bauchfalte, etwa in Höhe der Leber. "Dies kann nun schmerzhaft werden", warnt Kaufmann. Sekunden später nickt der Patient. "Das ist der Schmerz, der mir zu schaffen macht", sagt er. Da dieser Schmerz sich reproduzieren lässt, ist Kaufmann sich nun sicher, Henkel helfen zu können.

Die Osteopathie wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Andrew Taylor (1828-1917) in den USA begründet. Osteopathen sind überzeugt, dass eine einschränkte Bewegungsfähigkeit der inneren Organe für Störungen verantwortlich sein können. So sind beispielsweise Nerven, die auch die Schulter versorgen, an der Steuerung innerer Organe oder Muskeln beteiligt. "Wir gehen davon aus, dass alles miteinander zusammenhängt", sagt Kaufmann, "so können wir daher in Regionen behandeln, die nur auf den ersten Blick weiter weg von der Problemstelle liegen."

Auf diese Weise versuchen Osteopathen, die anatomischen Strukturen um die Organe herum zu lockern. Bei Michael Henkel trat nach der dritten Behandlung eine deutliche Besserung ein, doch ganz weg sind seine Schmerzen noch nicht.

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Die Bundesärztekammer ließ im Jahr 2009 osteopathische Verfahren bewerten. In der Studie heißt es, dass "einigermaßen zuverlässige Angaben zur Wirksamkeit osteopathischer Behandlungen nur bei wenigen Erkrankungsbildern vorliegen, im Wesentlichen bei chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule".

Zu Kaufmann und Kollegen kommen neben Patienten mit orthopädischen Problemen wie Rücken- und Gelenkschmerzen auch Menschen mit internistischen Symptomen, aber auch mit Tinnitus, Migräne und anderen psychosomatischen Beschwerden. "Es gibt auch Krebspatienten, die sich zusätzlich osteopathisch behandeln lassen, weil sie dadurch Kraft gewinnen, um mit den negativen Begleiterscheinungen der Krankheit zu leben", sagt Kaufmann, der vor zehn Jahren den "Verein Osteopathen" in Hamburg gründete, der als lokale Interessengemeinschaft eine Therapeutenliste zur Verfügung stellt. Alle aufgeführten Therapeuten haben eine mindestens fünfjährige abgeschlossene Ausbildung in Osteopathie vorzuweisen. Der Arzt Kilian Dräger, der im Osteopathikum Hamburg arbeitet, war vor 21 Jahren einer der ersten Mediziner in Deutschland, die sich mit der spektakulär unauffälligen Heilmethode aus den USA befasste. Heute spricht er von einem "enormen Boom" innerhalb der vergangenen beiden Jahrzehnte: "Zuerst gab es Skepsis vonseiten der Kollegen, was aber ganz normal ist, wenn man eine Methode nicht kennt. Durch den großen Zuspruch der Patienten hat sich das aber gedreht, und es besteht Interesse und Offenheit im direkten Gespräch", sagt der Vorstand der Deutschen Ärztegesellschaft für Osteopathie.

Als "Wunderheiler" möchte Kaufmann die Osteopathen, die ohne Medikamente behandeln, auf keinen Fall gesehen wissen. "Man kann Selbstheilungsprozesse initiieren oder unterstützen. Dies kann nur dann geschehen, wenn der Patient zur Regeneration fähig ist." Bei unheilbaren und lebensbedrohlichen Krankheiten könne die Osteopathie nur unterstützend angewandt werden.

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