Ob auf dem Ohlsdorfer Friedhof oder Diebstähle bei der Bahn: Die Rohstoffpreise sind um 41 Prozent gestiegen - der Markt zieht Täter an.

Hamburg. Sie schrauben Regenrinnen ab, Fallrohre und Dachplatten, stehlen Kupferleitungen jeder Art. Sie schneiden Bahnschienen in handliche Stücke, reißen Kupferkabel aus dem Boden, legen den Bahnverkehr lahm. Metalldiebe nehmen mit, auch wenn es niet- und nagelfest ist. Fast täglich erreichen die Polizei in Norddeutschland Anzeigen über neue Diebstähle. Die Täter machen nicht einmal vor Friedhöfen halt. Am Wochenende fasste die Polizei in Flensburg ein Paar. Die beiden Diebe im Alter von Anfang 20 hatten Buchstaben aus Bronze von Grabsteinen geschlagen, um sie zu verkaufen.

Erst Ende der vergangenen Woche war eine Bronzestatue vom Ohlsdorfer Friedhof gestohlen worden. Die Diebe ließen nicht nur ein unansehnliches Loch auf dem Familiengrab zurück, sie sorgten auch für Entsetzen bei den Hinterbliebenen: "Das überschreitet alle Grenzen. Der Gedanke, dass die Diebe die Statue einschmelzen könnten, tut sehr weh", sagt Ingrid Burmeister traurig. Die 54-Jährige aus Altona pflegt das mehr als 100 Jahre alte Grab ihrer Vorfahren. "Modell für die Statue stand die Großmutter meiner 88-jährigen Mutter, die ihrerseits schon als Kind mit ihrer Mutter am Grab saß."

Den Dieben geht es ums Geld. Um 41 Prozent verteuerten sich sogenannte Nichteisenmetalle wie Zink, Kupfer oder Blei im Vergleich zum Vorjahr. 12 000 Euro ist die Tonne Bronze derzeit wert. Das Geschäft blüht nicht nur an den Rohstoffbörsen. So mancher Schrotthändler macht das Geschäft seines Lebens - illegal und befeuert von denen, die ihm zuliefern.

Wie hoch der gesellschaftliche Gesamtschaden ist, wird nicht erfasst. Doch um die Dimensionen zu erfassen, reicht allein ein Blick auf die Deutsche Bahn: Bereits 20-mal wurden Anlagen des Verkehrsunternehmens in Hamburg in diesem Jahr von Metalldieben heimgesucht. Das sind sieben Fälle mehr als im gesamten vergangenen Jahr und zwölf mehr als 2009.

"Wir können eine erhebliche Steigerung solcher Taten feststellen", sagt der Sprecher der zuständigen Bundespolizei, Rüdiger Carstens. Allein im Mai griffen die Täter achtmal zu, meist in der Nacht, demontierten unter anderem meterlange Kupferleitungen an den S-Bahnstrecken von Wilhelmsburg nach Veddel und Harburg.

"Bundesweit schätzen wir den Schaden auf 50 Millionen Euro im Jahr", sagt Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis. Der wohl dreisteste Fall war dieser: Mitten am Tag fuhren zwei 40- und 47-Jährige mit einem Kleinlaster auf ein Bahnareal in Harburg und begannen, Altschienen zu zerschneiden. Die beiden wurden gefasst, bevor sie mit ihrer Ladung davonfuhren.

Sie teilen das Schicksal mit acht weiteren Festgenommenen, die die Bundespolizei in den vergangenen sechs Monaten auf frischer Tat erwischte. Sie sind zwischen 18 und 46 Jahren alt, die meisten aus Deutschland. "Wir haben es mit vielen Einzeltätern zu tun", ergänzt der Hamburger Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Organisierte Banden spielten in Hamburg keine Rolle. "Es sind eher örtliche Täter, die die Gunst der Stunde nutzen", sagt auch Stefan Jung vom Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.

Abnehmer der Metalldiebe seien "schwarze Schafe" unter den Schrotthändlern. Die aber müssen die Strafverfolgung nicht weniger fürchten. Während gewerbsmäßige Diebe bei einer Verurteilung mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen müssen, droht den Händlern bis zu fünf Jahre Gefängnis.

"Es ist schwierig, das gesamte knapp 190 Kilometer lange Bahnnetz in Hamburg zu überwachen. Wir sind in vielen Fällen auf Zeugenhinweise angewiesen", sagt Bundespolizei-Sprecher Carstens. "Allerdings haben wir ein Maßnahmenpaket aufgelegt, zu dem wir aber aus einsatztaktischen Gründen keine Angaben machen können."

Die Bahn verwendet bei Streckensanierungen und -neubauten Leitungen statt aus teurem Kupfer inzwischen "mit anderen metallischen Materialien, die jedoch nicht so wertvoll sind", erklärt Meyer-Lovis.

Noch schwieriger als bei der Bahn ist eine Überwachung auf dem 400 Hektar großen Ohlsdorfer Friedhof, wo die 250 Kilogramm schwere Grabstatue gestohlen wurde: "Die Anlage ist öffentlicher Raum, den jeder betreten darf", sagt Sprecherin Hedda Scherres. Eine neue Statue am Grab wird es wohl nicht geben. "Dieses Familienandenken kann man nicht ersetzen. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir die Wunde schließen", sagt Ingrid Burmeister.