40 Hamburger Persönlichkeiten sagen, was Menschen in unserer Gesellschaft dazu motiviert, sich für andere zu engagieren.

Hamburg. Mit 65 Jahren, in einem Alter, in dem sich viele Menschen beruflich zur Ruhe setzen, beginnt der Hamburger Jurist, Politiker und Verleger Gerd Bucerius etwas völlig Neues. 1971 teilt er dem Senat in einem Schreiben mit: "Sehr geehrte Herren, hiermit errichte ich, der Verleger Dr. Gerd Bucerius, wohnhaft in Hamburg, geboren am 19. Mai 1906 in Hamm/W., eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts unter dem Namen 'Zeit-Stiftung'."

Der Stiftungszweck, so steht es in der Satzung, umfasst "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke" im Bereich der Förderung der Wissenschaften, der Kunst und der Bildung und Erziehung. Gerd Bucerius, der 1946 mit der Wochenzeitung "Die Zeit" eines der einflussreichsten Medien im Nachkriegsdeutschland gegründet hatte, war wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich. Das versetzt ihn in die Lage, sich in einer Weise mäzenatisch zu engagieren, wie es einer guten hanseatischen Tradition entspricht, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht.

Zunächst stattet Bucerius die Stiftung mit 100 000 Mark aus seinem Privatvermögen aus, die Hälfte davon bildet den unangreifbaren Kapitalgrundstock. Doch das ist nur der Anfang: Nachdem der Stifter 1995 und seine Ehefrau zwei Jahre später starben, kommt das Privatvermögen des Ehepaares der Stiftung zugute. 2009 umfasst das Stiftungsvermögen 725 Millionen, das Jahresbudget 24 Millionen Euro. Damit gehört die "Zeit"-Stiftung, die inzwischen den Zusatz "Ebelin und Gerd Bucerius" im Namen trägt, zu den erfolgreichsten privaten Stiftungsgründungen in Deutschland.

Von 1971 bis zu seinem Tod nimmt Gerd Bucerius als Vorsitzender des zunächst nur zweiköpfigen Vorstands selbst großen Einfluss auf die Arbeit seiner Stiftung. Mit einem Stipendienprogramm ermöglicht er jungen Journalisten Studienaufenthalte an der Harvard University im amerikanischen Cambridge. Durch den Erwerb einer großbürgerlichen Villa an der Außenalster, die sie der Stadt und dem Literaturhaus-Verein mietfrei zur Verfügung stellt, macht die Stiftung 1989 die Gründung des Hamburger Literaturhauses möglich, das längst als eine der erfolgreichsten Hamburger Kulturinstitutionen gilt.

Der Jurist Gerd Bucerius sorgte mit einem eigenen Stipendienprogramm auch dafür, dass begabte Nachwuchsjuristen gefördert werden konnten. In den 14 Jahren von der Stiftungsgründung bis zum Tod des Initiators im Jahr 1995 förderte die Institution insgesamt etwa 90 Projekte mit einem Finanzvolumen von umgerechnet etwa 15 Millionen Euro. Aber was war es, das diesen erfolgreichen Unternehmer dazu gebracht hat, Stifter zu werden? War es die Frage, was angesichts der eigenen Endlichkeit bleiben würde? Die Frage nach Nachhaltigkeit in einer der Veränderung unterworfenen Gesellschaft?

Altkanzler Helmut Schmidt, der zu Bucerius' engen Weggefährten gehörte, nannte ihn den "vorbildlichen Typ des sozialen Kapitalisten". Und der frühere Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda charakterisiert Bucerius - was Helmut Schmidt nie tun würde - als Visionär: "Er glaubte an die gestaltende Kraft der Politik. Das gilt auch für seine Publizistik, seine unternehmerische Tätigkeit. Da hat er Gewaltiges geschaffen aus den kleinsten Anfängen. Das wäre ohne Visionen nicht möglich gewesen." Vielleicht wurde Gerd Bucerius aber auch deshalb zum sozialen Kapitalisten und zum Visionär, weil er die in Artikel 14 des Grundgesetzes festgeschriebene Sozialbindung des Eigentums ernst genommen und als persönliche Verpflichtung verstanden hat.

Dass er aus so kleinen Anfängen Gewaltiges geschaffen hat, beweist die "Zeit"-Stiftung bis heute. Niemand betrachtet sie mehr als eine Abteilung der gleichnamigen Wochenzeitung, sie ist als eigenständige, erfolgreiche und nicht nur für Hamburg sehr wichtige Institution im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ihre heutige Bedeutung hat die Stiftung erst nach dem Tod ihres Gründers entfalten können. Dass sie im Sinne Gerd Bucerius wäre, darf man jedoch getrost unterstellen.