Klaus-Peter Schöppner, 61, ist Geschäftsführer des Umfrage- und Forschungsinstituts Emnid

Hamburger Abendblatt:

1. Was muss der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann tun, um ein glaubwürdiger Regierungschef zu sein?

Klaus-Peter Schöppner:

Es muss etwas geschehen, auf das Kretschmann eigentlich nur einen sehr indirekten Einfluss nehmen kann: Er braucht wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum. Denn die Grünen sind gewählt worden, weil die Menschen sich von ihnen einen anderen Politikstil gewünscht haben, ohne dass sie dafür auf Wohlstand verzichten müssen.

2. Wie können die Grünen jetzt beweisen, dass sie wirklich eine regierungsfähig Volkspartei geworden sind und keine Dagegen-Partei?

Schöppner:

Sie werden es damit jetzt ziemlich schwer haben, denn sie haben es mit zwei Gegnern zu tun. In der Opposition steht ihnen eine immer noch starke CDU gegenüber und in der Koalition der Juniorpartner SPD. Den werden die Grünen durch viele Zugeständnisse ruhigstellen müssen. Die Chance der Grünen besteht in ihrem neuen, offenen und bürgernahen Politikstil, den die Menschen für glaubwürdig halten.

3. Wo sind Streitigkeiten mit der SPD programmiert?

Schöppner:

Mit Ausnahme einiger Vorzeigeprojekte wie dem Atomausstieg sind Konflikte sind auf allen Ebenen denkbar: bei Steuern, Industriepolitik oder in der Bildung. Wie man auch bei SPD-Regierungspolitikern wie Olaf Scholz in Hamburg sehen kann, stellt sich die SPD derzeit sehr wirtschaftsnah auf. Sollte Kretschmann zu viel ökologisches Sendungsbewusstsein zeigen, wird er mit dieser wirtschaftsnahen SPD zusammenprallen.

4. Stuttgart 21 kommt jetzt vielleicht doch, Atomkraftwerke laufen möglicherweise erst mal weiter. Verstehen das grüne Wähler?

Schöppner:

Ja. In Baden-Württemberg gehören ja nur etwa eine Hälfte der Grünen-Wähler zum harten Kern, die andere Hälfte setzt sich aus Anhängern von CDU, SPD, FDP und aus Nichtwählern zusammen. Diesen Menschen geht es vor allem um das grüne Gesamtgefühl und um den Protest gegen die etablierten Parteien. Einzelne politische Themen haben ein geringeres Gewicht.

5. Könnte das ein Modellversuch sein für den ersten grünen Bundeskanzler?

Schöppner:

Ich glaube nicht. Das Ländle tickt einfach um einiges grüner als der Rest der Republik. Aber etwa 20 Prozent der Deutschen leben im Osten, dort ist von einer grünen Euphorie nicht sehr viel zu spüren. Wenn aber Kretschmann in Baden-Württemberg grüne Politik unbeschadet aller bundespolitischen und rechtlichen Zwängen erfolgreich durchsetzen sollte, dann könnte allmählich auch bundesweit ein Umdenken einsetzen.