Inzwischen reichen die Täter in Hamburg über die Anarcho-Szene hinaus und machen mit Brandstiftung ihrer Wut auf Staat und Gesellschaft Luft, meint der Psychologe

Brandstiftung ist eine Straftat. Aber es mit dieser Feststellung bewenden zu lassen, hilft weder den Tätern, egal ob sozial gestört oder nicht, noch unserer Gesellschaft. So werden wir das Phänomen brennender Autos und Häuser nicht los.

Als Hamburger Psychologe und Psychotherapeut, der sich vorrangig mit Jugendlichen beschäftigt, schaue ich mit großer Sorge auf diese Entwicklung. Wir beobachten eine wachsende Zahl psychischer Störungen, aber in diesem Fall sind die Täter nach meiner Einschätzung nicht oder nur zu einem kleinen Teil pathologisch Feuer legende.

Als die ersten Autos brannten, kamen die Brandstifter entweder aus der anarchistischen Szene oder es waren junge Migranten ähnlich wie in den Pariser Vororten. Es ging um eine Rebellion gegen die Reichen. So eindeutig ist die Lage heute nicht mehr. Wir haben zum einen Täter, die so eine Art Privatkrieg gegen die Stadt führen. Das fing schon an, als die Grünen noch mitregierten und die Enttäuschung über die Koalition gerade unter denen wuchs, die damit Hoffnungen verbunden hatten.

Wir haben andere, die Botschaften hinterlassen - wie im Film "Die fetten Jahre sind vorbei" (Zwei zwanzigjährige Großstadtrevolutionäre brachen in diesem Streifen in Villen ein, verrückten Möbel und verabschiedeten sich mit Botschaften wie: "Sie haben zu viel Geld") - und die gezielt Wohlstandssymbole attackieren. Und wir haben schließlich eine wachsende Zahl von Jugendlichen, die einzeln oder in Gruppen umherziehen und Brände legen - aus sozialen und psychosozialen Schwierigkeiten heraus.

Die Jugendlichen drücken mit ihren Taten ihre Hilflosigkeit aus, es ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Insofern sind es zwar keine im engen Sinne politisch motivierten Straftaten, aber mit Politik, mit unserer Gesellschaft, dem Umgang miteinander haben sie natürlich viel zu tun.

Zum Teil begegnen sich die unterschiedlichen Gruppen in Altona, zündeln in einer Regentonne, ziehen spontan gemeinsam los und enden schließlich bei einem Jaguar oder irgendeinem anderen Auto.

Die Tatsache, dass es bei den Anschlägen nicht mehr nur um Luxusautos geht, zeigt, dass der Täterkreis sich verbreitert hat und über die Anarcho-Szene, die mit Anschlägen auf Porsche, Mercedes und ähnliche Modelle demonstrativ gegen Kapitalismus und Statussymbole demonstrieren wollte, inzwischen hinausgeht. Ein Teil der Täter lebt die 68er-Zeiten nach, die noch immer oder wieder stärker mit Mythen besetzt sind, und macht mit den Brandstiftungen seiner Wut auf den Staat und seiner persönlichen Enttäuschung von der Gesellschaft Luft.

Es hat eine ganz eigene Ironie, dass es in den Ämtern, die sich mit diesen Straftaten befassen müssen, genau diejenigen trifft, die sich damals revolutionär gebärdeten und inzwischen gut etabliert und situiert sind und heute knallhart gegen solche Jugendlichen vorgehen und sie zu Verbrechern erklären.

Auch in der Wirkung gibt es Parallelen zu den Ereignissen von 1968. Die Jugendlichen heute wollen wie die erste RAF-Generation Signale setzen. In der Bevölkerung werden diese Signale aber nicht als Hilfeschrei verstanden, sondern lösen Entsetzen und Angst aus. Mehr noch: Sie treiben Wähler in die Hände derer, die mit mehr Polizei und härteren Strafen für Ordnung in der Stadt sorgen wollen.

Ich höre meist nur "Wegsperren", "stärkere Polizeipräsenz" und vermisse soziologische, psychologische und pädagogische Versuche aufzuklären, woher die Wut junger Menschen kommt, welche Rolle erlebte soziale Ungerechtigkeit und eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen Reich und Arm spielen.

Ich höre nur "Strafen" und andere Gewaltandrohungen und vermisse die Suche nach dem Gespräch - auch mit Jugendlichen, die (noch) keine Autos angezündet haben. Die meisten gehen noch zur Schule, ein Ort, wo sich Antigewaltmaßnahmen gut organisieren lassen. Peer Counseling (Beratung von Jugendlichen durch ausgewählte andere Jugendliche aus der gleichen Gruppe) ist eine andere erprobte Methode, um friedliche Lösungen für Probleme zu finden. Es wurde in unserer Stadt vieles weggespart, kaum noch sozial investiert - die Quittung, fürchte ich, bekommen wir auf vielfältige Weise; auch in Form brennender Autos.