Energiewende sorgt bundesweit für höheres Wachstum und Tausende neue Jobs - auch in der Hansestadt

Hamburg. Selten hat die Politik das Steuer bei einem grundlegenden Thema so schnell herumgerissen wie bei der Atomkraft. Als Konsequenz aus der Katastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima werden die Reaktoren in Deutschland vermutlich schon in den kommenden Jahren endgültig vom Netz gehen. Dadurch würde der Ausbau der erneuerbaren Energien erheblichen Schub bekommen - und auch viele andere Zweige der deutschen Wirtschaft.

Erneuerbare Energien - vor allem die Windkraft - tragen mittlerweile rund 17 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei. Die gesetzlich festgelegten Einspeisevergütungen für Ökostrom bilden dafür das Fundament. Starken Auftrieb erfuhren die erneuerbaren Energien aber auch, weil deutsche Unternehmen und Ingenieure seit jeher enorme Kompetenz bei der Entwicklung und Vermarktung von Energietechnologien aufgebaut haben. Direkt und indirekt arbeiteten für den Wirtschaftszweig der erneuerbaren Energien im Jahr 2009 in Deutschland rund 340 000 Menschen.

Die Energieökonomin Professor Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet bei einem beschleunigten Ausbau von Ökoenergien und Energieeffizienz mit einem starken Wachstumsschub für die deutsche Wirtschaft insgesamt - quasi eine Art Frischzellenkur, die in zahlreiche Sparten hineinwirkt. "Die deutsche Wirtschaft kann wie keine andere vom Boom der grünen Branchen profitieren", sagte Kemfert dem Abendblatt. "In keinen Markt werden in den kommenden Jahrzehnten mehr Investitionen fließen als in die zukunftsweisenden Energie- und Mobilitätsmärkte. Allein in Deutschland können dadurch bis zu einer Million zusätzliche Arbeitsplätze entstehen."

Das DIW kalkulierte mit einem neu entwickelten Prognosemodell - Abkürzung SEEEM - die Auswirkungen eines forcierten Umbaus der Energiewirtschaft hin zu deutlich mehr erneuerbaren Energien und dezentralen Strukturen vor allem bei der Stromversorgung. Mehrere Tausend einzelne Kenngrößen wurden dabei berücksichtigt, etwa der Bedarf an hohen Investitionen in eine neue Infrastruktur, aber auch die sinkende Abhängigkeit von Energieimporten. "Ein Hauptergebnis der gesamtwirtschaftlichen Analyse ist, dass der verstärkte Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland zu höherem Wirtschaftswachstum und auch zu höherem Konsum führt", sagt Kemfert. Das Bruttoinlandsprodukt werde der Prognose zufolge 2030 um 2,9 Prozent höher sein als ohne Ausbau.

Hamburg könnte von dieser Entwicklung besonders profitieren. Gezielt warb die Stadt in den vergangenen Jahren um die Ansiedlung von Unternehmen, deren Geschäft die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz sind. Mehrere Dutzend Unternehmen riefen im vergangenen Jahr die Initiative Erneuerbare Energien Hamburg ins Leben. Der neue Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) kann nun ernten, was er als Präses der Handelskammer gesät hat. Das von ihm stets favorisierte "Clustermanagement", die Bildung eines wirtschaftlichen Schwerpunktes für erneuerbare Energien und verwandte Geschäfte, zahlt sich für die Stadt aus. "Das Thema erneuerbare Energien trägt enorm dazu bei, den Wirtschaftsstandort Hamburg nachhaltig und zukunftsorientiert zu entwickeln", sagt Horch. "Mit dem Cluster erneuerbare Energien will Hamburg seine Entwicklung zum weltweiten Top-Standort für Unternehmen aus der Branche vorantreiben." 2000 bis 3000 Arbeitsplätze schaffen die erneuerbaren Energien bislang in Hamburg. Zumeist sind es gut bezahlte Jobs für hoch qualifizierte Fachkräfte. Diese Zahl könnte sich in den kommenden zwei bis drei Jahren verdoppeln, schätzt Horch.

Windturbinenhersteller wie Repower Systems und Nordex haben in der Stadt ihre Konzernzentralen, andere Windkraftunternehmen wie General Electric, Vestas, Siemens oder die Repower-Konzernmutter Suzlon sind in der Hansestadt mit Entwicklungs- und Vertriebsabteilungen vertreten. Die Präsenz der erneuerbaren Energien in Hamburg geht aber weit darüber hinaus. Lichtblick oder Greenpeace Energy vermarkten an der Elbe seit Jahren Ökostrom. Der Schiffs-TÜV Germanischer Lloyd setzt verstärkt auf die technische Abnahme und Überwachung von Ökokraftwerken. Banken wie die HSH Nordbank oder die Commerzbank bauen ihr Geschäft mit erneuerbaren Energien in Deutschland und weltweit stetig aus. "In Hamburg hat sich ein starkes Zentrum mit Firmen aus der Branche der erneuerbaren Energien entwickelt. Für uns ist es ideal, hier zu sein, weil wir dadurch zu vielen unserer Kunden schnellen persönlichen Zugang haben", sagt Jan-Philip Gillmann, Vorsitzender des Geschäftsbereichs erneuerbare Energien bei der Commerzbank. Die Sparte hat ihren Sitz in Hamburg und betreut mittlerweile ein Kreditvolumen von vier Milliarden Euro. "In unserem Geschäftsbereich beschäftigen wir derzeit 80 Mitarbeiter und werden personell weiter wachsen", sagt Gillmann.

All diese Expertise zieht weitere Unternehmen nach Hamburg. Und auch ein anderer Umstand dürfte das Geschäft mit erneuerbaren Energien in der Hansestadt und darüber hinaus in den kommenden Jahren deutlich beflügeln: "Die Kosten erneuerbarer Energien werden durch Serienfertigung und technologische Optimierung laufend geringer", sagt Professor Claudia Kemfert, "während die der traditionellen Energien steigen."