Nach diesem Winter fliegt jetzt alles auf einmal, Birken produzieren mehr Pollen als sonst, Abgase der Autos verstärken die Aggressivität.

Hamburg. Jetzt geht es los - und zwar richtig: Die Pollen kommen. Mit ganzer Kraft fallen sie ein, erst in Süddeutschland und jetzt - zwei bis drei Wochen später - auch in Hamburg und Schleswig-Holstein. Hasel und Erle, Pappel und Weide, vor allem aber Allergiker-Feind Nummer eins: die Birke. "Ganz klar, seit dem vergangenen Wochenende haben wir auch in Hamburg starken Pollenflug", sagt Elke Alsdorf, Leiterin des Landesverbands Nord des Deutschen Allergie- und Asthmabundes. "Seit es wärmer geworden ist, ist die Konzentration von Birkenpollen in der Luft stetig angestiegen."

Und genau das spüren auch die Betroffenen - ihre Nasen laufen, die Augen jucken und tränen, und sie müssen niesen. Ständig. "Diese Leute leiden richtig", stellt Dr. Horst Müsken, Vorstandsmitglied des Deutschen Polleninformationsdienstes, klar, "und das macht sie oft auch richtig fertig. Manche haben außerdem Ohrenschmerzen oder können nicht mehr richtig schmecken." Zu ihrem Leid war das aber erst der Auftakt. "Die Pollenbelastung wird in den nächsten Wochen wohl noch ansteigen", sagt Expertin Alsdorf.

Eine Betroffene ist Jessica Scheller. Die 25-Jährige studiert in Kiel und würde eigentlich gern zwischen zwei Vorlesungen draußen in der Sonne entspannen. Das aber ist als Allergiker gar nicht so einfach. "Wenn es draußen windig ist, ist es besonders schlimm", sagt sie, "dann sind die Pollen richtig aufgewirbelt." Gerade an der Küste komme das ja nicht allzu selten vor. "Erträglich ist es nur, wenn es geregnet hat", sagt sie. Dann ist die Luft sauber und "sozusagen reingewaschen".

Seit 18 Jahren leidet Jessica Scheller an Heuschnupfen und ist "eigentlich gegen alles" allergisch. Gegen Frühblüher wie die Birke, aber auch gegen Gräser und Roggen, die erst im späten Frühling und Sommer blühen. "Damit es in der Nacht erträglich ist, muss ich mir vor dem Schlafengehen die Haare waschen. Schließlich verfangen sich da tagsüber Pollen drin." Kleidung im Freien lüften - unmöglich. Bei offenem Fenster schlafen - ohne Pollengitter undenkbar. Spontane Ausflüge? Nicht ohne Medikamente im Gepäck.

In diesem Jahr wird es für viele Allergiker jedoch noch schlimmer werden, als bisher. Denn sie haben unter einer regelrechten Doppelbelastung zu leiden: Durch den langen und kalten Winter sind die Pollen der Frühblüher nicht wie sonst ab Januar, sondern erst in den Frühlingsmonaten unterwegs. Sie kommen spät, aber dafür mit voller Wucht und alle auf einmal. "Pollen brauchen eine gewisse Temperatur. Erst jetzt, wo es nicht mehr so kalt wird, können sie sich richtig entfalten", sagt Alsdorf. Außerdem setzten die Birken in diesem Jahr besonders viele Pollen frei. Alle zwei Jahre, so beobachten es die Experten, tragen die Bäume mehr Blüten und kurbeln so ihre eigene Fortpflanzung an. 2010 ist es wieder so weit. "Mastjahr" wird diese Phase von Fachleuten genannt. Bei Betroffenen fallen die Symptome deshalb gerade besonders stark aus.

Langer Winter, dazu das Mastjahr - sogar dreifach unbequem wird es aber für Menschen in Großstädten, also auch für die Hamburger: "In Studien wurde herausgefunden, dass Autoabgase die Pollen deutlich aggressiver und potenter machen", sagt Expertin Alsdorf. Dadurch seien immer mehr Menschen immer stärker von Heuschnupfen betroffen. "Das Plateau ist aber noch lange nicht erreicht", warnt Alsdorf. Die Zahl der Allergiker werde weiter wachsen. In Hamburg leidet inzwischen jeder Vierte an Heuschnupfen.

Fachleute gehen von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Hier liegt das Problem: "Für viele Menschen ist Heuschnupfen eine Bagatell-Erkrankung", sagt Alsdorf, "dabei sollte man sich so früh wie möglich behandeln lassen." Vor allem bestehe die Gefahr, dass der Heuschnupfen über kurz oder lang in Asthma übergehe oder zu anderen Allergien führe. "Das nehmen viele einfach nicht ernst", so Alsdorf. Der Rat der Experten deshalb: Bei Symptomen sofort zum Arzt gehen und einen Test machen lassen.

Die Studentin Jessica Scheller hat das schon hinter sich. "Aber nichts hat so richtig geholfen", sagt sie. "Nach einer homöopathischen Therapie und einer Akupunktur hatte ich mal für ein Jahr Ruhe." Dann aber sei alles wie vorher gewesen. "Jetzt benutze ich Augentropfen und ein Nasenspray mit Kortison." Da ihre Krankenkasse nicht für eine weitere homöopathische Therapie aufgekommen war, ist sie jetzt woanders versichert. "Ich habe genug und will endlich, dass die Allergie aufhört."

In diesem Jahr sind Birken längst nicht das einzige Problem mit dem Allergiker zu kämpfen haben. Genauso häufig verbreitet ist eine Überempfindlichkeit gegen Gräserpollen - auch wenn diese weniger abrupt in die Luft freigegeben werden. "Birkenpollen gibt es besonders viele, sie kommen schnell und haben eine furchtbare Wirkung. Dann sind sie aber auch wieder weg", sagt Müsken. Ganz anders sei es bei den Gräserpollen, die die Hamburger ab Ende April oder Anfang Mai zu erwarten hätten. "Die kommen langsam und fallen auch nur langsam wieder ab." Schlimm sei das aber trotzdem - denn die Belastung könne mehrere Monate andauern und ebenso heftig sein wie die der Birken. Erst seit ein paar Jahren haben die Deutschen außerdem mit einer neuen Plage zu kämpfen: den Ambrosiapollen, "die kurz nach dem Beifuß fliegen werden, womit wir im August rechnen", sagt Müsken. Vor allem im September und Oktober seien die Pollen dieses Traubenkrauts unterwegs. In den USA ist Ambrosia mittlerweile schon der häufigste Auslöser von Heuschnupfen. Müskens Befürchtung: "Das könnte in den kommenden Jahren auch bei uns immer mehr Menschen krank machen."

Pollenflugvorhersagen im Internet:
dpaq.de
www.dwd.de/pollenflug
donnerwetter.de/pollen