An Bord vieler Schiffe herrschen katastrophale Bedingungen. Unterwegs mit einen Mann, der für die Rechte der Matrosen kämpft.

Ein unsicheres Lächeln huscht über das Gesicht des jungen indischen Seemanns, als er den Hamburger Gewerkschafter vor dem großen Sicherheitszaun am Kai erkennt. Rasch wirft er einen Blick zurück über die Schulter, hoch zur Brücke der "Norlake". Dort dringt Qualm aus dem Schornstein, das Radar dreht sich. Das Schiff ist bereit zum Ablegen, ein Schlepper hat sich schon in Position gebracht, lässt tief und lang sein Signalhorn tönen. Hastig zieht der junge Inder sein Handy aus Tasche. "Give me your number", sagt er zum Gewerkschafter und hält das Telefon verborgen vor seiner Brust, um dann verdeckt die Zahlen darin einzutippen. Von der Brücke aus soll man nicht erkennen, dass er hier verbotenerweise Kontakt aufnimmt mit Ulf Christiansen, dem Hamburger Inspektor der Internationalen Transport-Arbeiter-Föderation ITF.

ITF - das Wort dürfte für manche Billigflaggen-Reeder klingen wie Gift oder Pest. 130 meist bei nationalen Gewerkschaften angestellte ITF-Inspektoren kümmern sich weltweit um die "Ärmsten der Armen unter den Seeleuten", wie Christiansen sagt. Filipinos, Inder, Russen oder Rumänen, die auf Seelenverkäufern unterwegs sind, mit Heuern, die weit unter dem liegen, was ITF als Mindestlohn fordert. Oft ernähren die Männer damit zu Hause ganze Sippen. Kontakt zu ITF-Leuten wie Christiansen kann sie den Job kosten, deshalb schweigen sie lieber, ertragen die acht, zehn oder auch elf Monate, für die sie auf einem Schiff angeheuert wurden.

Die Männer der "Norlake" schwiegen jedoch nicht, als sie vor gut drei Wochen vor der Elbmündung ankamen und eine E-Mail an ITF schickten. In Riga war die indische Crew auf dem 28 Jahre alten Tanker eingestiegen, wie Seeleute sagen, wenn sie eine Reise auf einem Schiff antreten. Engagiert von der in Limassol ansässigen Crewing-Agentur, arbeiteten sie nun auf einem Schiff einer ägyptischen Reederei, das unter der Billigflagge Panama fährt. Eine zusammengewürfelte Kombination aus unterschiedlich beteiligten Nationalitäten, wie es heute üblich ist in der modernen Seefahrt. Immer häufiger registrieren Reeder ihre Schiffe in Staaten wie Panama, Liberia oder den Marshallinseln. Das spart Geld, weil man Löhne drücken kann. So werden von deutschen Unternehmen etwa 3500 große Seeschiffe betrieben, aber nur 439 davon tragen am Heck die Farben Schwarz-Rot-Gold.

Die "Norlake" sollte in Hamburg Sojabohnenöl laden. Als sie an den weißen Villen von Blankenese vorbeiglitt, war Christiansen bereits informiert über den maroden Zustand des Schiffs. Eines von 12 000, die jährlich die Strandcafés und Luxuswohntürme an der Elbe passieren. Immer mal wieder ist ein Frachter wie die "Norlake" darunter, "wo die Menschenwürde mit Füßen getreten wird", wie Christiansen sagt. "Substandardschiffe" nennt er seine Problemfälle. Vor den glitzernden Glasfassaden auf an der Elbe lässt sich zwar täglich ein Schauspiel bewundern, das Hafenromantik genannt wird. Doch hinter dieser Bühne wird nicht selten etwas ganz anderes gespielt: das hässliche Stück von der internationalen Seefahrt, die man in den Werbe-Broschüren der Makler vergeblich suchen dürfte. "Die Männer der ,Norlake' hatten schlicht Angst weiterzufahren", sagt der große 56-jährige Christiansen. In den 90er-Jahren wurde der Pastorensohn mit Kapitänspatent aus Flensburg zum ITF-Mann. 17 Jahre war er da zur See gefahren, als das Angebot kam. Für ihn eine Chance, die Arbeit des Helfers, wie er es von zu Hause kannte, mit der Arbeit eines Seemanns zu verbinden. "Mir geht es da vor allem um Gerechtigkeit", sagt er. 20 Jahre lang kämpft er nur schon für die Rechte von einfachen Seeleuten, streitet sich mit Reedereien. Gerät auch schon mal in Situationen, wo es handgreiflich wird. Vor wenigen Wochen erst packte ihn der Chef einer kleinen deutschen Reederei im Streit um ausstehende Heuer am Kragen. "Man muss ruhig bleiben, hier fehlte aber nicht viel und ich hätte zurückgeschlagen", sagt Christiansen. In der Seefahrt geht es eben nicht um Romantik, sagt er: "Da geht es nur um eines: ums Geld, viel Geld."

Und auch der ägyptische Reeder der "Norlake" wollte sparen: Rost hatte in Tanks und Leitungen Löcher gefressen, Lebensmittel gammelten in der Kombüse. Aus Duschen tröpfelte nur kaltes Wasser, Toiletten waren kaputt wie die Heizung. Und auch die Heuer, der Seeleutelohn, war lange nicht gezahlt worden. Christiansen informierte wie immer in solchen Fällen Wasserschutzpolizei und die Kontrolleure der Berufsgenossenschaft Verkehr. Erfahrene Nautiker fanden schnell die Schwachstellen in der "Norlake" und ließen das Schiff in die Kette legen. Drei Wochen dauerte es, bis 32 festgestellte Mängel notdürftig repariert waren. Etliche Tausend Euro am Tag kostete den Reeder eine solche Zwangspause, Argument genug, um sich auch nicht länger mit Christiansen um die ausstehende Heuer zu streiten. Der Großteil der Mannschaft wollte dennoch nicht weiterfahren, neue Seeleute aus Indien kamen an Bord. Der junge Seemann, mit dem sich Christiansen vorne am Zaun unterhält, riskiert die Weiterfahrt, weil er das Geld braucht. Er werde sich vom nächsten Hafen aus melden, ob alles in Ordnung sei, ruft er und hastet dann zur Gangway des Schiffs.

Hinter dem schwarzen Rumpf auf dem gegenüberliegenden Terminalgelände ragen kleine bunte Hügel auf, Berge von Schrott, die dort im inneren Teil des Hafens mit scheppernden Geräuschen verladen werden. Reihen mit verbeulten Containern stehen auf dem gepflasterten Areal, wo die "Norlake" jetzt ablegt. Es riecht nach Industrie und nach verbranntem Öl.

Mit nachdenklichem Blick geht Christiansen wieder zurück zu seinem Golf Kombi. Heute macht er einen Hafentag, wie er es nennt. Die hohen roten Kräne des Eurogate-Container-Terminals sind sein nächstes Ziel. Für die Hafenarbeiter dort hat Christiansen Pudelmützen mit ITF-Symbol ins Auto gepackt. Ein Art Dankeschön für die Unterstützung und auch so etwa wie Flaggezeigen, wie Christiansen sagt. Wenn Reeder oder Kapitäne sehen, dass die Hafenarbeiter ITF-Symbole tragen, schafft das auch Respekt, weiß er. Denn es gibt im Kampf um Mindestlöhne für Seeleute auch eine Solidarität. Weigert sich ein Reeder hartnäckig, mehr als einen Hungerlohn auf einem Billigflaggenschiff zu zahlen, kann es schon einmal sein, dass die Docker ihre Pausen ausdehnen oder wie durch Zufall der Containerkran vor dem betroffenen Schiff plötzlich repariert werden muss. So wie kürzlich bei dem deutschen Containerschiff MS "Deneb", für das der deutsche Reeder den ITF-Vertrag gekündigt hatte. Für die "Deneb" bestimmte Fracht blieb einfach am Terminal stehen, die Arbeiter weigerten sich, das Schiff zu beladen - bis erneut ein ITF-Vertrag unterschrieben wurde.

Warten kostet Zeit und damit viel Geld. Ein Argument, das immer zählt.

Aber diese Unterstützung ist nicht völlig uneigennützig. So gibt es Bestrebungen mancher Reeder, dass die Schiffscrews das Laschen, das seetüchtige Festsetzen der Ladung an Bord, übernehmen sollen, um Geld zu sparen. Ein klassischer Job des Hafenarbeiters, der so durch Billiglöhne verloren zu gehen droht. Den klassischen Seemannsberuf üben kaum noch Deutsche aus. In der Mannschaftsmesse sitzen heute meistens Russen, Inder. Aber vor allem Filipinos. Rund 600 000 ausgebildete Seeleute stammen laut Schätzungen von dort, doch nur etwa 200 000 finden einen Job bei internationalen Reedereien, mit dem man eine Großfamilie ernähren kann. Genug Druckmittel also, um die Crews gefügig zu machen

Auch die Mannschaft der "Cape Harrier" kommt von den Philippinen. Der 290 Meter lange bullige Erzfrachter hat im Hansaport festgemacht. Mächtige Halden mit dunklem und rötlichem Eisenerz lagern dort, Förderbänder und schweres Gerät säumen den Kai, Eisenbahnwaggons stehen bereit - bis nach Salzgitter wird Erz per Bahn transportiert. Das warnende Fiepen eines Staplers hallt über das Gelände, übertönt das Grundrauschen der Lkws auf der nahen Köhlbrandbrücke. Asphalt und ein schmieriger Schlammfilm auf dem Boden unterscheiden sich nur wenig vom grauen Wasser der Süderelbe. Eindrücke, die oft das Einzige sind, was die Seeleute von Hamburg mitbekommen. Christiansen parkt sein Auto direkt neben dem Schiff. Der Erzfrachter mache einen ordentlichen Eindruck, sagt er nach einem ersten Blick. Die "Cape Harrier" ist zum ersten Mal in Hamburg, Grund genug für Christiansen, sich dort umsehen. An der Gangway begrüßt ein philippinischer Seeoffizier, er lässt den Inspektor passieren. In Deutschland genießen ITF-Inspektoren ein Zutrittsrecht. Oben an Deck trägt sich der ITF-Mann in eine Liste ein und bekommt einen Bordausweis. Fünf, sechs Seeleute mit ernsten Gesichtern schauen zu, sie tragen Overall und Schal unter dem Sicherheitshelm. "ITF?", fragt einer. Christiansen nickt. Ein kurzes Lächeln zuckt über die Gesichter, zwei Jüngere heben kurz den Daumen. "Good, very good", sagen sie.

Heuer in Ordnung, Lebensmittel okay?, will Christiansen wissen. Ja, alles ist gut, sagen sie. Jetzt ja, aber in den Tagen zuvor nicht. Warum? Das soll der Kapitän erzählen. Begleitet von einem Seemann eilt Christiansen die engen Gänge und Treppen hoch.

Christiansen wird in den Salon gebeten: ein karger Raum mit einem Resopaltisch und Plastiklederbänken. In der Ecke ein Fernseher und ein Dutzend abgegriffene Videohüllen. Obenauf ein Hollywoodstreifen mit Gene Hackman aus den 80er-Jahren. In Brasilien hatte der Massengutfrachter Eisenerz geladen. 14 Tage dauerte die Fahrt über den Atlantik - dann musste die Crew vor der Elbmündung bei Helgoland den Anker werfen. Ein steter Ostwind hatte zu viel Wasser aus dem Strom gedrückt, sodass der schwere Erzfrachter zu tief für die Fahrt nach Hamburg war. 16 Tage lang ging das so, berichtet der Kapitän, ein freundlicher philippinischer Mittdreißiger. "Wir kamen uns schon vor wie ein Leuchtturm", sagt er und versucht ein Lächeln. Irgendwann gingen an Bord die frischen Lebensmittel aus und Gene Hackman flimmerte zigmal in dem Salon. Zweimal am Tag darf die Crew eine E-Mail nach Hause schicken, mehr nicht. Langweilig, sehr langweilig sei diese Zeit gewesen, berichtet ein anderer Seemann. "Mit Kreuzfahrt haben die Lebensbedingungen von Seeleuten nicht viel gemein - und das hier ist noch ein gutes Schiff", sagt Christiansen.

Doch Abwechslung in Hamburg - die gebe es auch nicht für die Seeleute der "Cape Harrier". Am nächsten Tag soll das Schiff wieder auslaufen. Und die lange Taxifahrt aus dem Hafen heraus bis in die Stadt, das ist für die Seeleute viel zu teuer, sagt Christiansen. Geschweige denn irgendwo ins Restaurant zu gehen, in ein Museum oder auf die Reeperbahn, wo die Touristen sich auf den Spuren von Seemännern wähnen. Ulf Christiansen sagt, die Zeiten von "La Paloma", Große Freiheit und Hans Albers seien vorbei.