Der Westen agiert in Libyen riskant und ohne Strategie.

Er frage sich, ob der Westen eigentlich begriffen habe, welchen Aufschwung islamistische Gotteskrieger derzeit in der arabischen Welt nähmen, schrieb Al-Qaida-Führer Anwar al-Awlaki in seinem Essay "Tsunami des Wandels". Die Gotteskrieger rund um den Globus erlebten einen "Moment des Hochgefühls", meinte der Top-Propagandist des Terrors. Die Al-Qaida-Botschaft weist auf die gefährliche Schwachstelle der Entwicklungen in Ägypten, Syrien, Tunesien, Bahrain, Jemen oder auch Libyen hin. Ebenso wie der Westen sind auch die militanten Islamisten für einen Sturz der autokratischen Regime. Und zwar deshalb, weil Tyrannen wie Mubarak oder Gaddafi das Vordringen der Gotteskrieger jahrzehntelang mit Gewalt verhindert haben.

Diese wittern nun Morgenluft und stoßen in das machtpolitische Vakuum. Freie Wahlen in Ägypten könnten einen Sieg der radikalislamischen Muslimbrüder bringen. Und in Libyen, dessen Regime unter den Nato-Bomben zerbröckelt, haben offenbar Hisbollah- und Al-Qaida-Kämpfer die Rebellen infiltriert. Über deren Struktur und Ziele weiß der Westen bedenklich wenig, und doch greift er an ihrer Seite massiv militärisch ein und erwägt gar, sie mit modernen Waffen zu bestücken - was dem Geist der Uno-Resolution 1973 Hohn sprechen würde. Schon sind alliierte Spezialeinheiten und CIA-Agenten im Einsatz. Genauso fing es in Vietnam an. Das Ziel des westlichen Engagements - der Schutz von Zivilisten - ist ehrenwert. Doch wird die Nato die Rebellen ebenso bombardieren, wenn sie in Tripolis einziehen und blutige Rache an Gaddafi-Anhängern nehmen?

Die Massaker an Zivilisten, zu deren Verhinderung die Nato angetreten ist, haben längst stattgefunden - nur nicht in Libyen, sondern in Syrien und in Bahrain. In dieses Golf-Königreich marschierten saudische Truppen ein, um den Volksaufstand niederzuschlagen. Die stabile Erhaltung der prowestlichen Despotien in Bahrain und Saudi-Arabien ist hier im nationalen Interesse der USA - die derweil in Libyen ein ähnliches Regime bombardieren. Das Handeln des Westens in der komplexen und äußerst unruhigen arabischen Welt lässt bislang keine kohärente Strategie erkennen.