Gründe zum Demonstrieren lieferte nicht nur Fukushima

Mr Burns schien allgegenwärtig. Der bösartige AKW-Besitzer aus den "Simpsons"-Filmen liefert der Anti-Atomkraft-Bewegung eine ideale Karikatur - die gab es bei den Brokdorf/Wyhl/Kalkar-Demos vor 30 Jahren noch nicht. Auch die Kanzlerin bekam ihr Fett weg - Kreativität und Witz fielen bei den Demonstrationen am Sonnabend geradezu auf. Wenn Menschen mit so viel Liebe Plakate und Transparente gestalten, steckt mehr dahinter als Betroffenheit über Fukushima oder Parteienkritik. Bei den bisher größten Anti-Atomkraft-Protesten in Deutschland kam einiges zusammen. Der sogenannte Wutbürger hatte viele Gesichter und unterschiedliche Motive.

Einen Großteil der Jüngeren und jungen Familien hat sicherlich das Risiko der Kernkraft auf die Straßen getrieben, das sich in Fukushima zeigt. Alte Kämpen aus den Urzeiten des deutschen Atomprogramms sehen sich in ihren Warnungen bestätigt. Andere fühlen sich genervt vom politischen Schlingerkurs: erst rot-grüner Ausstiegs-Kompromiss, dann schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung und jetzt ein halb gares Moratorium. Was aber hinzukommt, ist Unmut, der sich bei vielen angesammelt hat. Zum einen konnte die Regierung den Begriff Brückentechnologie nie positiv verankern. Wozu die Brücke, wenn Deutschland Vorreiter der erneuerbaren Energien ist? Zum anderen haben sich die Energiekonzerne mit ständigen Strompreiserhöhungen und Preisabsprachen selbst ein Image eingebrockt, das schlechter ist als das der Banken und der Bahn. Was zur Mobilisierung beigetragen hat, ist neben dem Schlüsselthema Energie auch eine politisch-technologisch-psychologische Gemengelage.

Stuttgart 21 hat das Selbstbild des aufgeklärten Bürgers verändert. Es widerspricht diesem Selbstbild, dass die Politik - auch gewählte Volksvertreter und Regierungen - über Großprojekte und Großtechnologien allein entscheidet. So wie der Vietnamkrieg der erste "Live"-Krieg im Fernsehen war, so ist Fukushima der erste live dokumentierte GAU. In Tschernobyl konnten verheimlichte Bilder, Desinformation und falsche Messwerte noch dem Kommunismus angelastet werden. Heute zeigt das demokratische Japan, wie überfordert und hilflos jede Regierung angesichts einer Atomkatastrophe wäre.

Die Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahren nervöser geworden und reagiert schneller. Die Mittelschicht geht generell auf Distanz zu vollmundigen Versprechungen von Industrie und Politik. Politische Wucht bekommt die Bewegung vor allem durch neue Zusammenschlüsse wie "Campact", "x-tausendmal quer", ".ausgestrahlt" oder die "Bewegungsakademie", deren junge Aktivisten professionell Protestformen organisieren, griffige Slogans finden ("Tschüss, Vattenfall!") und so schnell mobilisieren, wie es das Internet hergibt. Neben diesen Bürgerinitiativen 2.0 wirken auch die Grünen wie Saurier.