Wegen Zigaretten, Alkohol und 700 Euro brachte ein 38-Jähriger einen Familienvater auf unfassbar brutale Weise um

Neustadt. Der Kioskbesitzer hatte keine Chance. Er sah die Gefahr nicht kommen. Shams K., 54, hatte auch keinen Grund, Florian S. zu misstrauen. Er kannte ihn. Der 38-Jährige hatte ihm öfter Elektrogeräte verkauft und war unweit des Ladens an der Langenhorner Chaussee aufgewachsen.

Am 17. September 2010 war Florian S. nicht gekommen, um etwas zu verkaufen. Der Drogenabhängige brauchte Geld, um Schulden bei seinem Dealer zu begleichen. Seiner Frau hatte er am Vorabend mitgeteilt: "Es wird etwas Schreckliches passieren."

Mit drei Reisetaschen betrat Florian S. am frühen Morgen den Kiosk. Er hatte Kabelbinder eingepackt, einen Hammer, Klebeband. In einer anderen Tasche lag ein DVD-Player, den er zum Schein an Shams K. verhökern wollte. Als sich der arglose Familienvater über die Ware beugte, schlug er ihm mit dem Hammer auf den Kopf.

Doch Shams K. leistete heftig Gegenwehr, da drosch Florian S. ihm das Werkzeug dreimal ins Gesicht und neunmal auf den Kopf, dann schleifte er den wimmernden Mann in den Keller, fesselte ihn an einen Stuhl, steckte ihm ein Tuch in den Mund und stülpte ihm eine Plastiktüte über den Kopf, die er mit Klebeband luftdicht verschloss. Shams K. erstickte.

Florian S. aber kehrte zurück in den Laden und bediente Kunden - mit blutverschmierten Händen. Weil niemand Verdacht schöpfen sollte, gaukelte er ihnen vor, er sei eine Aushilfe, er habe sich geschnitten, und Shams K. sei nur kurz einkaufen, der komme gleich. So erzählte er es auch seiner Ehefrau, die gegen 7.30 Uhr im Laden anrief. Nach einer Stunde hinterm Tresen flüchtete Florian S. mit Zigaretten, Alkohol und 700 Euro Bargeld.

Ein Kunde hatte aber Verdacht geschöpft und die Polizei alarmiert. Es war schließlich der 27 Jahre alte Sohn des Opfers, der seinen Vater im Keller fand. Als Florian S. sich später vor Gericht entschuldigte, schrie er: "Du hast nicht nur meinen Vater getötet, sondern auch meinen besten Freund." Er wollte keine Entschuldigung hören, keine Reue sehen - aber vor allem wollte er keine Gnade für den Gnadenlosen.

Florian S. hatte in seinem Schlusswort um eine gerechte Strafe gebeten - am Freitag hat er sie bekommen. Das Landgericht verurteilte den 38-Jährigen zu lebenslanger Haft, gleich drei Mordmerkmale sieht es verwirklicht: Habgier, Heimtücke und das Ermöglichen einer Straftat.

Florian S., wie an den vorherigen Prozesstagen im schicken, grauen Anzug, nimmt das Urteil gefasst auf. Der Schein trügt. Als der Richter über die eigentliche Bluttat spricht, starrt der 38-Jährige zu Boden oder versteckt seine Unsicherheit hinter einer Fassade aufgesetzter Geschäftigkeit - ständig macht er sich Notizen in einem Block. "Es gibt Straftaten, da bekommen selbst wir Richter eine Gänsehaut", sagt der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen. "In diesem Fall öffnete sich vor uns ein riesiger, menschlicher Abgrund." Indes verneint die Kammer eine "Schwere der Schuld" - und macht so eine Entlassung nach 15 Jahren Haft möglich. Auch eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ob der Persönlichkeitsstörung des empathielosen Raubmörders sieht sie nicht. Dafür sei Florian S. zu systematisch vorgegangen. Für den Angeklagten spreche, dass er den Überfall, nicht aber die Bluttat geplant habe. Der Richter: "Sie haben zwei Familien zerstört: Ihre eigene und die des Opfers."

Seit dem unfassbar brutalen Verbrechen befinden sich die Hinterbliebenen in tiefster Agonie. Das Urteil - ein erster Abschluss. Nicht mehr, nicht weniger. "Die Familie ist erleichtert", sagt Nebenklagevertreter Jürgen Walczak. Gleichwohl bleibe die Ablehnung der "Schwere der Schuld" ein Wermutstropfen. Anderthalb Jahre hatte Shams K. den Kiosk betrieben - seine Familie hat den Laden inzwischen verkauft, der Kummer war zu groß. Nur gut, dass sie der Verhandlung ferngeblieben war. Es waren grausige Details, die zur Sprache kamen. Florian S. hatte Shams K. nicht bloß getötet. Er hatte ihn vernichtet.

Es war ein Prozess an der Grenze des Ertragbaren.

Und es war der vorläufige Tiefpunkt eines verkorksten Lebens. Seit dem 16. Lebensjahr befand sich Florian S. im freien Fall. Heroin, Kokain, Amphetamine. Was auch immer dröhnte und berauschte, schnupfte, spritzte und schluckte er. Gerade so eben schaffte er den Hauptschulabschluss, aber schon der Versuch einer Ausbildung scheiterte. 30 Therapien brach er in 15 Jahren ab. Ein hoffnungsloser Fall. Doch 2006 lernte er während der Entgiftung in der Psychiatrie in Ochsenzoll seine heutige Frau kennen - sie war seine Therapeutin und die letzte Chance auf ein bürgerliches Leben.

Die Ärztin kaufte ein Haus in Norderstedt, das Paar bekam einen Sohn. Zunehmend überfordert habe er sich gefühlt, Florian S. wurde rückfällig. Im August 2010 trennten sie sich. Zwei Tage vor der Bluttat suchte sie aber erneut seine Nähe. Sie wolle ein weiteres Kind von ihm. Florian S. indes witterte einen Betrug und unterstellte ihr, sie sei schwanger, sie wolle ihm das Kind eines neuen Liebhabers unterschieben. Da war es endgültig aus und Florian S. "alles egal", sagt der Richter. "Sein Traum von einer heilen Welt war geplatzt." Für die Familie von Shams K. wurde sein geplatzter Traum zu ihrem Albtraum.