Dr. med. Andreas Krüger, 46, ist Trauma-Spezialist, Kinder- und Jugendpsychiater in Hamburg

Hamburger Abendblatt:

1. Bei uns erfahren auch kleine Kinder von den Schrecken der Tsunami- und Atomkatastrophe in Japan. Sollten Eltern von Vorschulkindern mit ihnen über dieses Thema reden?

Andreas Krüger:

Das Thema und die berührenden Bilder sind so allgegenwärtig, dass viele Kinder im Vorschulalter diese Bilder sehen. Ein sprachfähiges Kind mit einem naiven Weltverständnis erkennt darin das menschliche Leid. Man sollte es nach seinen Ängsten fragen und was es darüber denkt.

2. Sollten Eltern das Thema anschneiden, auch wenn ihr Kind das von sich aus nicht tut?

Krüger:

Manche Kinder sind sehr offen und sprechen von sich aus über ihre Befürchtungen. Andere haben Angst, reden aber nicht. Die Eltern sollten auch weniger mitteilsame Kinder nach ihren Gefühlen fragen. Dabei können sie nichts verkehrt machen. Einmal zu viel gefragt, schadet nicht. Wenn das Kind aber unter Ängsten leidet und die Eltern sprechen das nicht an, können die bedrückenden Bilder und Informationen das Kind nachhaltig belasten.

3. Worauf sollten Eltern beim Umgang mit diesem Thema unbedingt achten?

Krüger:

Eltern sollten sich um ihr Kind kümmern, wenn es zum Beispiel fragt, ob die Fluten auch das eigene Haus wegtragen können. Zwei Dinge sollten im Mittelpunkt stehen. Zum einen die Frage, wie groß die Furcht ist; Kinder haben oft mehr Angst, als Erwachsene wahrhaben wollen. Zum anderen sollte man das Kind beruhigen und erklären, dass wir hier nach aller Wahrscheinlichkeit nicht von solchen Unglücken getroffen werden können und die Kinder in Sicherheit sind.

4. Können die Bilder von Menschen in Not bei Kindern bleibende Schäden hinterlassen?

Krüger:

In der Regel wird das nicht der Fall sein, wenn das Kind psychisch gesund und keinen großen Krisensituationen ausgesetzt ist. Die Bilder aus Japan wirken unter Umständen weniger bedrohlich als manche gewaltvollen Fernsehszenen, mit denen Kinder regelmäßig konfrontiert werden.

5. Müssen Eltern sich sorgen, wenn ihr Kind unter Albträumen wegen der schrecklichen Ereignisse leidet?

Krüger:

Ein Kind kann dann Schaden nehmen, wenn es bereits in anderer Form belastet ist, etwa durch eine dramatische Trennung der Eltern, eine andere Krise oder wenn es im Kindergarten schwerem Mobbing ausgesetzt ist. Dann können die Katastrophenfotos zusätzlich belasten und Albträume auslösen. Eine therapeutische Beratung ist angebracht, wenn Kinder z. B. plötzlich massiv unter Schlafstörungen leiden, oft abwesend wirken, Angstattacken oder Trennungsängste entwickeln. Die meisten Eltern haben ein Gefühl dafür, wenn etwas mit dem Kind nicht stimmt. Dann sollten sie sich Hilfe holen.