Lars Becker, 57, ist Regisseur und Krimiautor. Sein Film “Amigo“ befasst sich mit Terrorismus

Hamburger Abendblatt:

1. Warum werden mehr Filme über die RAF gedreht als zum Beispiel über den Fall der Mauer?

Lars Becker:

Das Phänomen der RAF als Ausuferung eines Widerstandes gegen den Staat hat historisch, auch im europäischen Kontext, großes Gewicht. Deshalb liegt darin eine große Faszination. Warum nicht mehr Filme über die Mauer gedreht worden sind, kann ich nicht beantworten. Aber viele dieser Geschichten und Dramen, die sich an der deutsch-deutschen Grenze ereignet haben, sind noch gar nicht erzählt. Da müsste man mal rangehen.

2. Hängt die Faszination der RAF-Geschichte nicht wesentlich mit den Figuren zusammen, die sich als Outlaws sahen?

Becker:

Diese Figuren wurden ja auch zu einer Projektionsfläche für eine ganze Generation von jungen Leuten. Die RAF-Mitglieder waren diejenigen, die dem Staat die Stirn geboten haben. Das hat sie natürlich für eine Generation attraktiv gemacht, die ihren Vätern kritische Fragen nach ihrer Rolle innerhalb des Nationalsozialismus gestellt haben.

3. Unterliegt man bei diesem Stoff nicht der Gefahr der Verklärung oder hält man nicht einen Mythos lebendig?

Becker:

Nein, es geht nicht darum, einen Mythos weiter am Leben zu erhalten. Es geht darum, sehr differenziert die Gründe zu zeigen, warum junge Menschen zu Terroristen geworden sind. Es geht darum, ihnen ein menschliches Gesicht zu geben und natürlich auch ihr Scheitern und ihren Fehlglauben zu dokumentieren. Und eventuell auch ihre späte Einsicht, dass der Weg von früher der falsche war.

4. Besteht eine besondere Verantwortung gegenüber den Opfern?

Becker:

Ja, diese Verantwortung existiert. Deshalb habe ich in meinem Film "Amigo" zum Beispiel den Sohn eines Opfers mit dem Sohn eines Täters konfrontiert.

5. Ist der definitive RAF-Film schon gedreht worden?

Becker:

Nein, aus meiner Sicht nicht. "Der Baader Meinhof Komplex" von Uli Edel wird diesem Anspruch nicht gerecht, weil er zu viel verklärt und weil er nicht differenziert genug mit dem sehr komplexen Phänomen des deutschen Terrorismus umgeht. Die "Bewegung 2. Juni", die sich nach dem Todestag von Benno Ohnesorg benannt hat, kommt in Edels Film zum Beispiel überhaupt nicht vor. Zur RAF und zum Terrorismus in Deutschland gäbe es noch eine ganze Reihe weiterer Geschichten zu erzählen. Aber verglichen mit anderen europäischen Ländern wie Italien und Frankreich werden bei uns insgesamt viel zu wenig politische Stoffe im Kino umgesetzt.