Prof. Dr. Claudia Kemfert, 42, leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Institut für Wirtschafts- forschung (DIW) in Berlin

Hamburger Abendblatt:

1. In Brasilien fahren die Autos mit 80 bis 100 Prozent Biokraftstoff. In unserem Land dagegen regen sich viele schon über einen Zehn-Prozent-Anteil von Biokraftstoff im Superbenzin auf. Ist das mal wieder typisch deutsch?

Claudia Kemfert:

Ich denke schon. Typisch deutsch scheint vor allem die Hysterie zu sein, mit der die Einführung des neuen Kraftstoffs E10 in Deutschland begleitet wird. Die sehr widersprüchlichen Aussagen von Mineralölwirtschaft, Wirtschaft und Regierung führen zu einer totalen Verunsicherung der Autofahrer.

2. Deutschland hat sich verpflichtet, weniger Treibhausgase zu produzieren. Vielen erschien da die Bio-Beimischung beim Benzin als ein sinnvoller Schritt auf diesem Weg. Ist die Einführung des E10 jetzt eigentlich noch rückgängig zu machen, wie sogar einzelne Grüne schon gefordert haben?

Kemfert:

Nein, die Einführung sollte auch nicht rückgängig gemacht werden. Die Mineralölwirtschaft sollte stattdessen eher ihre Hausaufgaben machen und E10 flächendeckend und preisgünstig im ganzen Land anbieten. Sicherlich kann Biosprit immer nur einen kleinen Anteil für weniger Energieabhängigkeit und mehr Nachhaltigkeit leisten. Nachhaltigkeit bedeutet ebenso eine Verkehrsoptimierung sowie die Vermeidung von Feinstaub, von Lärm oder von Staus.

3. Geht die Verwirrung über den Biosprit auch auf Fehler in der Politik zurück?

Kemfert:

Die Politik muss wirklich eine nachhaltige Mobilität fördern: die Kraftfahrzeugsteuer ernsthaft auf CO2 ausrichten, innovative Antriebsstoffe und -techniken sowie eine gute Verzahnung von öffentlichem Nahverkehr und Individualverkehr fördern. Kaufprämien für CO2-freie Fahrzeuge machen mehr Sinn als Abwrackprämien. Biosprit ist dabei nur ein Baustein von vielen.

4. Gibt es bei der Einführung des neuen Sprits E10 Versäumnisse des Bundesumweltministeriums beziehungsweise des Umweltministers?

Kemfert:

Das Bundesumweltministerium setzt die Biokraftstoffverordnung um, der Deutschland schon vor Jahren zugestimmt hat. Ich sehe derzeit Versäumnisse vor allem bei der Mineralölwirtschaft und ebenso bei den Autoherstellern, die täglich mehr für Verwirrung sorgen.

5. Warum hat sich mit dem Gipfel morgen zu diesem Thema auch der Wirtschaftsminister in die Debatte eingeschaltet?

Kemfert:

Hätten wir ein Energieministerium, müsste es auch kein Gerangel um die Kompetenzen auf diesem Gebiet geben.