Islamwissenschaftler Udo Steinbach, 67, leitete von 1976 bis 2007 das Orient-Institut in Hamburg.

1. Hamburger Abendblatt:

In Libyen eskaliert die Gewalt. Wie lange hält sich Diktator Gaddafi noch?

Udo Steinbach:

Maximal wenige Tage. Das Regime ist unter Druck, die Macht zerfällt, das Regime ist auch nicht reformierbar. Wir können davon ausgehen, dass die Herrschaft von Gaddafi und seinem Clan zu Ende geht.

2. Ein Drittel der Bevölkerung in Libyen ist unter 14 Jahre alt. Wie stark beeinflusst die Demografie die Unruhen?

Udo Steinbach:

Das ist ein ganz wichtiger Faktor, wie schon in Ägypten und Tunesien. Die Tatsache, dass ein überwältigender Teil der Bevölkerung perspektivlos ist, und zwar ökonomisch wie politisch, macht die Menschen wütend. Für viele von ihnen erscheint der Tod besser als eine perspektivlose Zukunft. Das erklärt auch die Entschlossenheit, dem Regime gegenüberzutreten.

3. In den Unruhestaaten war der Bevölkerungsanteil der jungen Menschen immer schon sehr groß. Was ist heute anders als vor zehn oder 20 Jahren?

Udo Steinbach:

Da müssen wir den Bogen nach Ägypten schlagen. Dort ist anders als vor zehn oder 20 Jahren die Lage der Jugend aussichtslos. Sie begann aus ökonomischen Gründen zu protestieren. In Libyen gibt es eher einen Nachfolgeeffekt. Dort ist die wirtschaftliche Lage nicht so dramatisch schlecht wie in Ägypten, aber da wirkt ein geschichtlicher Faktor. Ägypten ist wie eine Art Trendsetter für Libyen. Das haben wir schon 1952 mit der Nasser-Revolution erlebt, die auf ihre Weise 1969 in Libyen nachgeholt wurde. Jetzt folgen die libyschen Massen wieder denen in Ägypten gegen das etablierte Regime.

4. Ist damit ein Endpunkt erreicht oder werden die Unruhen auf noch mehr Länder übergreifen?

Udo Steinbach:

Auf Marokko werden sie sicher übergreifen, obwohl das politische Ergebnis wohl ein anderes sein wird als in Tunesien, weniger radikal und brutal. Im Sudan hat der Diktator seinen Rückzug angekündigt. In Bahrain geht die Jugend auf die Straße, in Jordanien steht der König unter Druck. Die Unruhen sind längst nicht ausgestanden. Der Wind eines radikalen Wandels weht durch die arabische Welt.

5. Kann Europa mit Milliarden helfen, die Länder zu befrieden?

Udo Steinbach:

Ganz gewiss, nur mit Milliarden sind diese Länder zu befrieden, denn in Ägypten, Tunesien, Marokko, Jordanien ist die ökonomische Krise der Auslöser der Unruhen. Europa braucht einen neuen Ansatz - weg von der Gießkanne -, mit dem wir ökonomisch den arabischen Raum beträufelt haben, hin zu einem umfassenden Plan der Kooperation. Das Stichwort Marshallplan deutet an, was an Hilfe auf Europa zukommt.