Lebensmittel nach Maß sind im Trend. Auch bei Kern-Energie, einem Online-Shop aus Hamburg, mixt der Kunde selbst. Das Prinzip ist einfach.

Hamburg. Es war eine Vision, die ihn umtrieb. Von Energie aus nachwachsenden Rohstoffen. Umweltverträglich, zeitgemäß, nachhaltig. Vor drei Monaten realisierte Denis Burghardt, 34, in Hamburg sein Vorhaben und gründete Kern-Energie. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein neues Prestigeprojekt der Atomlobby, sondern um einen Onlineshop, bei dem es ausschließlich Nüsse, Kerne und Trockenfrüchte zu kaufen gibt. Allerdings in unzähligen Variationen.

Denn auf der neuen Webseite kern-energie.com kann sich der Kunde seine eigene Nusskreation zusammenstellen: von gerösteten Cashewkernen über gesalzene Pistazien bis hin zu getrockneten Physalis - ein maßgefertigtes Studentenfutter. Geschmäcker sind schließlich verschieden. Zwar gibt es bei dem Unternehmen auch fertige Mixturen zu bestellen, im Vordergrund stehen für Burghardt aber zwei Dinge: "Qualität und Individualität." Besonders Letzteres soll Kern-Energie von den meist günstigeren Nussmischungen aus dem Supermarkt abheben. Das ist das Konzept der individualisierten Massenfertigung, "Mass Customization" im Fachjargon genannt.

Das Prinzip: Der Kunde sucht sich ein unverwechselbares Produkt aus Zutaten zusammen, die eigentlich für den großen Absatzmarkt hergestellt wurden. Damit die Preise einigermaßen erschwinglich bleiben, werden die Vorteile der Massenproduktion genutzt. Nach einem Baukastensystem können so Teesorten, Liköre oder Kekse in unterschiedlichsten Varianten miteinander kombiniert werden. Ein Nischenmarkt zwar, aber einer, der sich in den vergangenen Jahren behauptete.

Vorreiter der virtuellen Mix-it-yourself-Läden waren drei Studenten aus Passau, die 2007 ihren Online-Müsli-Shop Mymuesli.com lancierten. Ursprünglich als eine Art WG-Projekt gestartet, ist daraus mittlerweile ein florierendes Unternehmen mit rund 80 Mitarbeitern entstanden. Ein Erfolg, der Nachahmer anlockt. Mit Schokoladentafeln nach Maß baute sich die Berliner Internetfirma Chocri einen festen Kundenstamm auf. Die Idee, aus mehr als 100 Zutaten wählen zu lassen, überzeugte sogar Ritter Sport. Das Unternehmen beteiligt sich seit 2010 zu einem Drittel an dem Online-Schoko-Shop. Dagegen hat sich Allmytea auf Teesorten spezialisiert. Ob Darjeeling mit Lavendel, Guarana oder Banane - hier entscheidet der Kunde allein.

Auch Denis Burghardt hofft, mit Kern-Energie den Geschmacksnerv der Zeit zu treffen. Dafür lässt er bei einem Fachmann in den Niederlanden rösten, abgefertigt werden die Mixturen in der Passauer Produktionsstätte von Mymuesli - man kennt sich in der Mass-Customization-Branche. "Wir wollen mehr bieten als die großen Ketten", sagt Burghardt. Doch das hat seinen Preis. Bis zu 40 Prozent teurer als Ware von der Stange sind die Eigenkreationen aus dem Netz. Bei Kern-Energie kostet eine 200-Gramm-Packung zwischen drei und sechs Euro, je nach Nusssorte und Verarbeitung.

Ein Preis, den die Kunden zu zahlen bereit sind - solange sie der Nutzen überzeugt. "Deshalb ist nicht jedes Start-up mit dieser Art von Produkten erfolgreich", sagt Frank Piller, Wirtschaftswissenschaftler an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) und Experte in Sachen Mass Customization. Das Produkt müsse einen Mehrwert bieten, den ihn vom Standard abhebt. So können selbst ausgewählte Müsli-, oder Nussmischungen für Allergiker oder Sportler interessant sein. Zudem sollte der Kaufpreis nicht zu sehr von dem der Massenware abweichen. Rund zwei Prozent des Lebensmittelmarktes, schätzt Piller, sind bisher individuell dominiert. "Es wird eine Nischenbranche bleiben. Aber eine, die sich etabliert." Der Trend könnte seiner Meinung nach sogar auf den Dienstleistungssektor übergreifen: Mit Versicherungsverträgen, die auf die eigenen Lebensumstände zugeschnitten sind.

Eine Erweiterung der Produktpalette kommt für Denis Burghardt nicht infrage. Das Geschäft sei gut angelaufen. Neben Einzelbestellungen hätten vor allem Firmen Nussmischungen für ihre Geschäftskunden geordert. "Im kommenden Jahr möchten wir eine Rösterei in Hamburg eröffnen", sagt der Chef von Kern-Energie. Die Laufzeitverlängerung scheint beschlossen.