Dr. Manfred Brandt, 66, vom Verein Mehr Demokratie gilt als Architekt des neuen Hamburger Wahlrechts.

Hamburger Abendblatt:

1. Herr Brandt, was sagen Ihnen die Namen Holger Böhm, Stefanie Hartun und Lars Idkowiak?

Manfred Brandt:

Ich nehme an, das sind Direktkandidaten aus meinem Wahlkreis 17. Frau Hartun kenne ich persönlich, die beiden anderen Namen habe ich schon mal gehört.

2. Vollkommen richtig. Im Gegensatz zu Ihnen kennen die meisten Wähler ihre Direktkandidaten auf den Listen nicht. Welchen Sinn hat dann das direkte Wahlrecht in einer eher anonymen Großstadt?

Brandt:

Zugegeben, wir haben momentan die Situation, dass Wähler ihre Kandidaten nicht kennen. Aber das wird sich in zehn Jahren geändert haben. Dann werden sie das direkte Wahlrecht zu schätzen wissen. In einer Millionenstadt wie München gibt es die Direktwahl seit 60 Jahren mit bis zu 80 Kreuzen pro Wahl. Dort beschwert sich niemand mehr. Im Gegenteil.

3. Was sagen Sie zum Vorwurf, das komplizierte Verfahren schrecke Wähler ab und verfälsche den Wählerwillen?

Brandt:

Das Verfahren ist nicht kompliziert. Es wird nur durch die kurze Vorlaufzeit für die Neuwahl problematisiert. Fünf Stimmen pro Wahlheft, mehr muss nicht beachtet werden. Im Übrigen haben wir keine Scheinpersonalisierung mehr wie bei der letzten Wahl, die komplizierter war. Jetzt kann man tatsächlich den Politiker wählen, den man möchte. Unabhängig vom Listenplatz. Ich glaube nicht, dass deswegen die Wahlbeteiligung sinkt.

4. Forciert die Vielzahl an Kreuzen nicht ungültige Stimmen? Die vielen Briefwähler könnten ein Indiz für Verunsicherung sein.

Brandt:

Es wird vielleicht mehr ungültige Stimmen geben, aber das ist, wie wissenschaftliche Studien gezeigt haben, nicht signifikant und wird keine durchschlagende Wirkung aufs Wahlergebnis haben. Die hohe Zahl der Briefwähler hat möglicherweise mit der Unsicherheit der Menschen in Bezug auf das neue Wahlrecht zu tun. Aber es ist auch eine besondere Situation: Normalerweise kommen die Musterwahlzettel vier Wochen vor der Wahl. Wegen der kurzen Spanne zwischen Koalitionsbruch und Neuwahl erreichen die Muster aber erst jetzt Hamburgs Haushalte.

5. Noch mal zum Mitschreiben: Was sind Vor- und Nachteile des neuen Wahlrechts für Sie?

Brandt:

Die Vorzüge sind, dass neben Parteien auch Personen gewählt werden können. Das zwingt Parteien, sich für profilierte Persönlichkeiten zu öffnen, und verschafft ihnen Bodenhaftung. Die Zeit geschlossener Zirkel ist vorbei. Ein Nachteil ist, dass es erst drei Tage später ein belastbares Wahlergebnis gibt. Bei einer Legislatur von vier Jahren ist das aber hinnehmbar.