20 Hamburger Leiharbeiter klagen auf Lohnnachzahlung. Es geht um bis zu 30.000 Euro pro Person. Christliche Gewerkschaft am Pranger.

Hamburg. Kristin Körner zögerte nicht lange. Als die Bürokauffrau vor fünf Jahren ihren Job bei einer Hamburger Krankenkasse kündigte, nach Monaten der Jobsuche dann aber doch keine neue Festanstellung fand, kontaktierte sie eine Zeitarbeitsfirma. "Es war mein letzter Ausweg. Ich wollte keinen Tag mehr länger arbeitslos sein, wollte niemandem mehr auf der Tasche liegen, auch keinem Amt", erzählt die 32-Jährige. Das Zeitarbeitsunternehmen ZAG Personaldienste bot ihr umgehend einen Arbeitsvertrag als Bürohilfe an und sie griff guten Gewissens zu. "Das Unternehmen zahlte nach Tarifvertrag. Und ich ging davon aus, dass mir hier nichts passieren kann." Der Stundenlohn von 6,15 Euro, später 7,00 Euro bei einer 35 Stundenwoche und 24 Urlaubstagen kam ihr zwar niedrig vor - und reichte mit netto knapp 1000 Euro kaum zum Leben. Aber sich zu beschweren oder eine höhere Eingruppierung zu fordern, traute sie sich nicht.

Dass Körner jetzt dennoch gegen ihren früheren Arbeitgeber vor das Hamburger Arbeitsgericht zieht, liegt in einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts begründet. Darin sprachen die Obersten Richter im Dezember der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) die Tariffähigkeit ab. Ein Beschluss mit weitreichenden Folgen: Denn alle Tarifverträge, die Zeitarbeitsunternehmen mit der CGZP vereinbart haben, gelten seither als ungültig. Da fast jeder zweite Haustarif mit der CGZP, die in Fachkreisen als arbeitgeberfreundlich galt, abgeschlossen wurde, sind bundesweit geschätzt 350 000 bis 400 000 Leiharbeiter davon betroffen.

Eine ist Kristin Körner. Sie gehört zu 20 Leiharbeitern in Hamburg, die nun mit rechtlicher Unterstützung der Konkurrenzgewerkschaft Ver.di gegen ihre frühere Arbeitgeber klagen. "Sie alle haben gute Chancen auf Lohnnachzahlung", ist Rechtsanwalt Holger Thieß überzeugt: "Da die Tarifverträge der CGZP ungültig sind, haben die Leiharbeiter rückwirkend Anspruch auf ,Equal Pay' - also Bezahlung nach den gleichen Tarifen wie die Stammbelegschaften bei den Einsatzunternehmen."

Der Arbeitsrechtler geht davon aus, dass auf die Zeitarbeitsunternehmen in den nächsten Monaten eine Prozesslawine zurollt. Allein in Hamburg seien mindestens 10 000 Leiharbeiter betroffen, die nach Tarifen der CGZP bezahlt werden. Je nach Art und Länge des Arbeitseinsatzes seien Rückzahlungen zwischen 7000 und 10 000 Euro pro Jahr möglich - also bis zu rund 30 000 Euro pro Person, schätzt Thieß. Allerdings müsse jeder sein Recht selbst einklagen. Entgangene Löhne können nur bis 2008 eingefordert werden, da frühere Ansprüche bereits verjährt seien.

Darüber hinaus sind auch die Sozialversicherungsträger dabei, ihre Beitragsansprüche rückwirkend geltend zu machen. "Hierbei könnten Nachzahlungen in Milliardenhöhe auf die Verleihunternehmen zukommen", schätzt der Arbeitsrechtsprofessor Peter Schüren von der Universität Münster. "Sie sind die Hauptgläubiger. Und sie haben die besten Mittel, ihre Rechte durchzusetzen."

Im Fall von Kristin Körner hofft Thieß, rund 7500 Euro heraushandeln zu können. Da von dem Betrag auch Sozialabgaben nachgezahlt werden müssen, dürften für seine Mandantin netto etwa 4500 Euro übrig bleiben. Der erste Termin vor dem Arbeitsgericht findet nächste Woche statt. Dort werde zunächst eine gütliche Einigung gesucht, so Thieß. Mit einem Urteil sei im Sommer zu rechnen. Die ZAG Personaldienste sieht die Rückzahlungspflicht dagegen noch keineswegs als selbstverständlich an. "Solange das Bundesarbeitsgericht seine Urteilsbegründung noch nicht schriftlich vorgelegt hat, bleibt die Rechtslage unklar. Damit ist auch der Anspruch auf Rückzahlung ungewiss", sagt Dieter Betten, Geschäftsführer der ZAG in Hannover.

"Ideal wäre es, wenn die Zeitarbeitsunternehmen ihren Mitarbeitern das ihnen zustehende Geld freiwillig nachzahlen würden", meint Thieß. Doch damit sei wohl nicht zu rechnen. Im Gegenteil. "Manche betroffene Leiharbeitsfirmen verpflichten ihre Arbeitnehmer sogar dazu, nicht gegen sie zu klagen", berichtet Peter Bremme, Ver.di-Fachbereichsleiter für Besondere Dienstleistungen, der Betroffenen Rechtshilfe anbietet. Andere erhöhten mittlerweile ihre Löhne.

Keiner verklagt gerne seinen Arbeitgeber, meint Körner: "Persönlich habe ich nichts gegen die ZAG. Ich wurde von den Mitarbeitern immer freundlich behandelt. Mir geht es hier nur um mein Recht." Körner war gut eineinhalb Jahre lang im Auftrag der ZAG für eine Handvoll Unternehmen in Hamburg im Einsatz. Die gebürtige Potsdamerin wurde in einem Krankenhaus oftmals auch als Sekretärin des Chefarztes eingesetzt. Sie tippte Briefe nach Phonodiktaten oder saß am Empfang. In einem Callcenter wurden ihre Fachkenntnis für die Kundenberatung einer Krankenkasse genutzt. Doch die Bezahlung erfolgt immer nur als Bürogehilfe, obwohl sie einen Realschulabschluss plus abgeschlossene dreijährige Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation hat und sechs Jahre Berufserfahrung vorweisen konnte. Um von ihrem Gehalt zu leben, nahm sie einen Zweitjob auf 400-Euro-Basis an.

Dennoch bereut Körner ihre Beschäftigung bei der Zeitarbeit nicht: "Ich habe neue Berufserfahrungen gesammelt." Über ihren letzten Einsatz in einem Callcenter fand sie sogar einen neuen festen Job in Kiel. "Es war sehr entspannend, wieder von einem Gehalt gut leben zu können", sagt Körner, die mittlerweile wieder in Hamburg angestellt ist. Wenn die Bezahlung stimme, sei Zeitarbeit eine Alternative: "Alles ist besser als arbeitslos."