Willi Reimann, 61, trainierte sowohl den HSV als auch St. Pauli.

Hamburger Abendblatt:

1. Die wichtigste Frage vorab: Wie geht's aus beim Derby am Sonntag?

Willi Reimann:

Mein Herz schlägt eher für den HSV. Die Rothosen werden knapp gewinnen, weil sie in den Einzelpositionen qualitativ besser besetzt sind. Dazu kommt der Heimvorteil.

2. Wie sehen Sie die Entwicklung beider Hamburger Klubs in dieser Saison?

Reimann:

Bisher hat mich der HSV enttäuscht, präsentierte sich zu unbeständig. Auch zu Hause zeigten die Spieler unattraktiven Fußball. Mir fehlt das offensive, kreative Element. Nur Mladen Petric kann den entscheidenden Pass geben und macht auch noch die Tore. Zé Roberto, der ebenfalls das Potenzial hätte, wurde in der Hinrunde häufig auf der Verteidigerposition verschenkt. Die St. Paulianer zeigen hingegen, was sie können, gehen in jedem Spiel an ihr Limit, sind mannschaftlich geschlossen. Sie haben mich angenehm überrascht.

3. Beide Klubs reklamieren für sich die besondere Stimmung in ihren Arenen. Welcher Klub hat das schönere Stadion?

Reimann:

Der HSV natürlich, auch wenn der FC St. Pauli mit der neuen Haupttribüne im Millerntorstadion in die richtige Richtung geht. Dieses Stadion gefällt mir auch gut. Viele Anhänger träumen zwar noch von der Vergangenheit und der Tradition. Aber um mithalten zu können, muss man in diesem Fußballgeschäft investieren.

4. HSV oder St. Pauli - wer hat die besseren Fans auf den Rängen stehen und sitzen?

Reimann:

Fiese Frage. Die Fans des FC St. Pauli schätze ich als kreativ und verlässlich ein, sie stehen immer hinter ihrer Mannschaft, während die HSV-Fans viel kritischer mit ihrem Team umgehen. Stimmt das Ergebnis zur Pause nicht, schlägt die Stimmung schnell mal ins Negative um. Dann wird gepfiffen und man sucht sich ein, zwei Spieler als Sündenböcke. St. Paulis Fankultur ist für Fußballer viel angenehmer.

5. Wo sehen Sie noch Nachholbedarf in beiden Vereinen für die Zukunft?

Reimann:

Früher hat es St. Pauli sträflich vernachlässigt, in die Infrastruktur zu investieren wie in Trainingsbedingungen. Dort ist der Klub aber inzwischen auf einem guten, professionellen Weg. Der HSV wiederum zeigt sich in seiner Führung nicht so professionell, wie es sein müsste, die Außendarstellung stimmt nicht. So lange keine Vereinskultur entsteht, in der alle miteinander für eine Sache kämpfen, wird sich der Erfolg nicht einstellen.